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Der gekreuzigte Teufel

Der gekreuzigte Teufel

Titel: Der gekreuzigte Teufel
Autoren: Ngugi wa Thiong'o
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die ausländischen Sitten, die sie und Gatuiria so oft diskutiert und verurteilt haben, im Hause seiner Eltern herrschen?
    Solche Zweifel haben Gatuiria davon abgehalten, Wariinga die Karte zu zeigen, mit der seine Eltern ihre Freunde zu einem Tee-Empfang zu Ehren von Gatuiria und seiner Verlobten eingeladen haben. Schon allein die Namen, mit denen sein Vater sich schmückt, stören Gatuiria, und es wäre ihm nicht recht, wenn Wariinga sie sähe. Die Karte war in Goldbuchstaben gedruckt, und goldene Blüten verzierten den Rand. Aber noch viel mehr schämte sich Gatuiria der Tatsache, daß die Karte den Gästen nicht nur vorschrieb, welche Kleidung zu tragen sei, sondern daß auf der Karte die Namen der Geschäfte aufgeführt waren, in denen die Gäste Geschenke einkaufen konnten.
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    EINLADUNG ZUM FEST! NGORIKA HEAVENLY ORCHARDS
    Herr und Frau Hispaniora Greenway Ghitahy sen. Esq. geben sich die Ehre, Herrn/Frau/Frl./Dr./Prof./MP
    ..................................
    zu einem Tee-Empfang anläßlich der Heimkehr ihres Sohnes, Master Gatuiria Ghitahy jun. Esq., und seiner Verlobten, am Sonntag, den ........ einzuladen.
    Beginn pünktlich 14 Uhr.
    Herren: Dunkler Anzug
    Damen: Langes Kleid, Hut, Handschuhe
    Wenn Sie ein Geschenk mitbringen möchten, können Sie dies in den folgenden Geschäften besorgen: im London Shop für Damen und Herren , Ilmorog; in der Boutique Paris , Nairobi; oder im VIP Shop Woman of Rome in Nakuru.
    U. A. w. g.: Herrn und Frau H. G. Ghitahy sen. Esq.
Ngorika Heavenly Orchards
Postfach
    Nakuru, Kenia, Ostafrika
    Tel. HCOV 10000 000
    Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen,
    von welchen mir Hilfe kommt.
    Psalm Davids.
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    Gatuiria denkt über die Karte nach und möchte weinen. Nichts ist schrecklicher als ein Volk, das fremde Sitten hinunterschluckt, ohne überhaupt zu kauen. Nur noch als Papageien kann man solche Menschen bezeichnen! Dieselben Dinge, die Gatuiria davon abgehalten haben, Wariinga die Karte zu zeigen, lassen ihn jetzt nur zögernd Wariingas Frage beantworten.
    »Hast du vergessen, wie deine Eltern aussehen, oder warum hast du auf meine Frage geschwiegen?« Wariinga weckt ihn aus seinen Gedanken.
    »Schließe deine Augen bis morgen nachmittag um zwei Uhr«, erwidert Gatuiria und versucht, einen leichten Ton anzuschlagen. »Und wenn du sie wieder öffnest, rate mal, wen du dann sehen wirst? Gatuirias Eltern! Und siehe, es wird geschehen, daß Wariingas Zweifel alle hinweggewaschen sein werden …«
    Gatuiria hält Wariinga im Arm, während er spricht, und sie lehnt ihren Kopf an seine Schulter.
    »Ach, morgen … morgen … ich wünschte, der Tag bräche an und wir könnten das kühle Wasser mit den Vögeln in der Morgendämmerung teilen …« seufzt Wariinga. Ihre Stimme scheint aus weiter Ferne zu kommen.
    Zwei Tränen fließen ihr über die Wange wie Tautropfen, die über die zarte Haut einer reifen Frucht rinnen, wenn die Sonne aufgeht. Erst jetzt geht die Sonne über den Golden Heights unter.
    »Weißt du noch, wie ich dir in Njeruca einmal von einem Traum erzählte, den ich früher immer träumte, als ich noch Schülerin in der Nakuru Day Secondary war?«
    »Von dem Teufel, der von Menschen in zerschlissenen Kleidern ans Kreuz geschlagen wird?«
    »Ja … und am dritten Tag kommen Menschen im dunklen Anzug mit Krawatte und holen ihn wieder herab vom Kreuz …«
    »Ja … und dann knien sie vor ihm nieder und rufen: Hosianna, Hosianna! … Ja, ich erinnere mich daran, daß du mir so etwas ähnliches erzählt hast. Aber vielleicht fällt dir auch wieder ein, was ich dir damals gesagt habe? In vielen Kirchen gibt es eine Menge Bilder und Skulpturen an Wänden und Fenstern, die sehr wohl zu Alpträumen führen können. Aber warum hast du mich danach gefragt?« Gatuiria schaut Wariinga fragend an.
    »Weil ich in der vergangenen Nacht eben diesen Traum hatte. Und du weißt doch, daß ich heutzutage kaum einmal mehr zur Kirche gehe. Aber der Traum heute nacht war anders als sonst.
    Im Traum von heute nacht ließen die Krawattenmänner keine drei Tage verstreichen. Und sie kamen diesmal auch nicht heimlich und verstohlen. Heute nacht kamen sie, kaum daß der Teufel gekreuzigt war. Panzerwagen mit großen Kanonen fuhren ihnen voraus … Sie nahmen den Teufel vom Kreuz herab und begannen Lobeshymnen auf ihn zu singen, und auf allen Seiten wurden sie von den Panzerwagen beschützt …«
    »Und was geschah mit den Leuten in den zerschlissenen Kleidern?« fragt Gatuiria. »Was taten
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