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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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die Luft hieb. »Aber wer sagt denn, dass
wir uns daran halten?«
»Ich«, antwortete Andrej. »Ich werde mich nicht einmischen. Aber
du wirst es auch nicht tun.«
Romegas machte einen spielerischen Ausfall in Andrejs Richtung,
zog das Schwert aber im letzten Augenblick wieder zurück. Andrej
zuckte nicht einmal mit der Wimper, obwohl die Klinge kaum eine
Handbreit vor seinem Gesicht durch die Luft schnitt.
»Ihr werdet sterben«, kicherte Romegas. »Ihr werdet alle hier oben
sterben und mein Meister und ich werden euer Blut trinken und noch
stärker werden.«
»Sind wir uns einig?«, fragte Abu Dun. Mit einer bedächtigen Bewegung schlug er seinen Mantel zurück und zog die beiden gewaltigen Säbel. Der Dämon reagierte immer noch nicht, aber sein
Schweigen schien Abu Dun Antwort genug zu sein, denn er bewegte
sich rasch drei oder vier Schritte weit zurück, bis er genau in der Mitte der Plattform stand.
»Ja, ja«, kicherte Romegas. »Wir sind uns einig. Ich werde mich
nicht an dir vergreifen, Heide, und auch nicht an deinem arroganten
Freund.«
Es war seltsam - aber mit einem Male war es Andrej nicht mehr
möglich, diesen Mann zu hassen. Vielmehr empfand er eine sonderbare Art von gnadenlosem Mitleid. Er hatte Romegas nie gemocht
und in den zurückliegenden drei Jahren hatte es mehr als einen Moment gegeben, in denen er nur auf einen Vorwand gewartet hatte, um
ihn herauszufordern und zu töten. Er wusste auch, dass er genau das
bald tun musste. Gleichgültig, wie dieser Kampf ausging, er würde
das bedauernswerte Geschöpf, in das sich der Chevalier verwandelt
hatte, vernichten, bevor er diesen Turm verließ. Und doch wäre es
kein Akt der Rache, sondern eine Gnade.
Doch er bekam keine Gelegenheit dazu. Romegas hieb weiter
blindlings mit seinen Waffen durch die Luft, musterte Andrej mit
vom Wahnsinn erfüllten Augen und schrie dann: »Aber ich werde
die Witwe und ihren Bastard töten!«
Selbst Andrejs übermenschlich schnelle Reaktion wäre zu spät gekommen. Romegas schien sich in einen Schatten zu verwandeln, so
schnell wirbelte er herum und sprang mit hoch erhobenem Schwert
auf Julia und ihren Sohn zu. Doch so schnell er auch war - der Dämon war schneller. Andrej sah die Bewegung nicht einmal. Die
schattenhafte Gestalt schien zu verschwinden, um im selben Moment
auf der anderen Seite des Turmes wieder zu erscheinen und mit der
des Ritters zu verschmelzen. Dann ertönte ein trockenes Knacken
und Romegas stürzte mit gebrochenem Genick zu Boden. Sein Dolch
klirrte auf den Stein; das Schwert fing der Dämon auf und enthauptete Romegas mit einer beiläufigen Bewegung.
Julia schrie so gellend auf, als hätte der Hieb sie getroffen, und
nicht den Vampyr. Sie presste ihren Sohn noch fester an sich. Andrej
stockte der Atem, als der Dämon einen Moment lang vollkommen
reglos vor der jungen Frau stand und sie anstarrte. Dann ließ er das
Schwert fallen, drehte sich mit einer fast bedächtigen Bewegung um
- und stürzte sich lautlos auf Abu Dun!
Diesmal war seine Bewegung womöglich noch schneller als bei
seinem Angriff auf Romegas. Andrej nahm sie überhaupt erst wahr,
als der Dämon gegen Abu Dun prallte und den nubischen Riesen mit
der Wucht seines Angriffs aus dem Gleichgewicht brachte. Keuchend taumelte Abu Dun gegen die Wand. Einer seiner Säbel wurde
ihm entrissen und flog in hohem Bogen über die Mauer, um lautlos
in der Tiefe zu verschwinden, aber der andere fand - vermutlich
durch puren Zufall - sein Ziel. Andrej hörte das Geräusch von reißendem Stoff, dann einen anderen, weicheren Laut. Der Dämon taumelte zwei Schritte zurück und fand dann breitbeinig wieder festen
Stand. Trotz des düster-roten Lichtes, das die Kohlebecken verbreiteten, konnte Andrej nicht erkennen, wie schwer Abu Duns Klinge den
Vampyr verletzt hatte, aber das unheimliche Geschöpf wirkte irritiert. Der durchdringende Geruch seines fauligen Blutes stieg Andrej
in die Nase und erlosch dann rasch wieder.
Intuitiv hob Andrej das Schwert, führte die begonnene Bewegung
aber nicht zu Ende. Es war aussichtslos. Schon dieser erste Zusammenprall hatte Andrej gezeigt, wie hoffnungslos Abu Dun seinem
Gegner unterlegen war. Vielleicht war dies der unwiderruflich einzige Moment, in dem er eingreifen und den Dämon überrumpeln konnte. Aber er hatte Abu Dun sein Wort gegeben, sich nicht einzumischen, und er fühlte sich an dieses Wort gebunden.
Abu Dun presste die linke Hand gegen das Gesicht und ließ ein leises,
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