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Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer
Autoren: Franz Hohler
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sinnlos ist, diesem Satz, der nur dann angebracht
ist, wenn man den Rand von Ostermundigen vor sich sieht, in Wirklichkeit oder auf einem Bild, und selbst wenn man in einer Situation ist, wo dieser Satz hinpasst, dann geht von diesem Rand von Ostermundigen, den ich nicht kenne, nichts aus, es werden ein paar Wohnblöcke sein, eine Wiese, ein Waldrand vielleicht, aber es ist nicht einzusehen, warum ausgerechnet das von Bedeutung sein soll, und jetzt, gerade jetzt, vernehme ich, dass heute zum ersten Mal die Stimme des Mannes nicht mehr gehört wurde, er braucht sich nicht mehr zu melden, er hat erreicht, was er wollte, jeder kennt den Satz, jeder spricht ihn aus, keiner kann mehr etwas sagen, ohne zugleich an den Rand von Ostermundigen zu denken, und keiner weiß, was damit gemeint ist.
     
    Dieser Satz muss zum Schweigen gebracht werden. Das ist das Ende der Geschichte ›Der Rand von Ostermundigen‹.

Der Mann, der ein Kauz sein möchte
    E s gibt einen Mann, und ich verbürge mich für seine Existenz, dessen größter Wunsch ist es, ein Kauz zu sein. Seine Erscheinung, seine Sprache, sein Benehmen sind einzig darauf ausgerichtet, den Eindruck von Kauzigkeit zu erwecken. Wenn Sie ihm begegnen, und das wäre, da es ihn wirklich gibt, nicht ausgeschlossen, könnte das auf die folgende Art verlaufen.
    An einem Samstagnachmittag würden Sie, während Sie durch die Stadt gehen, plötzlich bemerken, wie einem Mann, der vor Ihnen geht, ein Frankenstück aus der Hand auf den Boden fällt, ohne dass er davon Notiz nimmt. Wenn Sie, was ich eigentlich voraussetze, nicht selbstsüchtig veranlagt sind, nehmen Sie das Geldstück auf, beschleunigen Ihren Gang, holen den Mann ein und halten es ihm hin, indem Sie ihm sagen, er hätte das vorhin verloren. Der Mann wird sich dann hocherfreut zeigen, und da Sie gerade an einem Café vorbeigehen, wird er sagen, wissen Sie was, mit diesem Franken lade ich Sie zu einem Umtrunk ein. Das Wort Umtrunk könnte Sie schon stutzig machen, aber da Sie gerade Zeit haben und nicht ungern einen Kaffee trinken würden, nehmen Sie die Einladung an.
    Auf dem Weg zu seiner Wohnung – er führt Sie nämlich in seine Wohnung und nicht in das Café, weil er Cafés wegen ihres guten Kaffees hasse, wie er sagt, und Sie
gehen mit, weil Sie den Moment verpasst haben, nein zu sagen – auf dem Weg zu seiner Wohnung fällt Ihnen auf, dass er das Frankenstück, mit dem er bisher gespielt hat, verschwinden lässt und aus der Busentasche seines Kittels einen schwarzen Handschuh zieht, den er sich über die rechte Hand streift. Vor seiner Tür angekommen – er wohnt im vierten Stock eines Altstadthauses – zertrümmert er mit einem Faustschlag ein Milchglasscheibenabteil, langt dann mit der Hand durchs Loch und öffnet die Tür von innen. Schon wieder den Schlüssel vergessen, sagt er, wissen Sie, ich bin sehr zerstreut, absolut zerstreut, hach. Er sagt nicht ach, sondern hach. Da ist er ja! ruft er und greift in seine andere Busentasche, je nun, quod scripsi scripsi. Sie sagen, das ist aber schade, dass Sie jetzt die Scheibe kaputtgemacht haben, und er sagt, halb so schlimm, und öffnet einen Kasten, in dessen Fuß sich zwei Reihen Ersatzscheiben befinden, er nimmt eine, hängt die zerstörte aus und setzt die neue ein, dazu sagt er, ich bin eben ein seltsamer Kauz.
    Gerade jetzt würde Ihnen aber aufgehen, dass dieser Mann kein echter Kauz ist von der Art eines Gärtners oder Totengräbers oder Zeitungsverkäufers, sondern dass es sich um eine gewollte, gekünstelte Kauzhaftigkeit handelt, mit der er sich nur interessant machen will.
    Seine Wohnung ist durch und durch originell eingerichtet, was für ihn zweifellos eine große Anstrengung bedeutete, aber wenn man ihn auf etwas hin anspricht, sagt er scheinbar zerstreut, das da? Ja, recht lustig, nicht. In der Küche zum Beispiel ist das große Ablaufrohr mit einem leichten Farbriss, von oben nach unten verlaufend, versehen,
und er hat kleine Heftpflaster darübergeklebt, sodass der scherzhafte Eindruck entstehen soll, diese Pflaster halten die Röhre zusammen.
    In der Toilette ist ein Bild von einer Toilettenschüssel aufgemacht, aus welcher zwei Hände greifen und sich an der Sitzbrille festhalten. Hinter der Schüssel ist eine Parkverbotstafel befestigt, und darunter ein Schild »Nur Ein- und Aussteigenlassen erlaubt«. Wenn Sie die Toilette verlassen, wird der Mann schon hinter dem Garderobenständer auf der Lauer stehen, um zu beobachten, ob Sie
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