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Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)

Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)

Titel: Der geheimnisvolle Garten: Roman (German Edition)
Autoren: Annette Dutton
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aus. Natascha ließ langsam das Papier sinken und starrte aus dem Fenster. Langsam sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, was dieses Dokument für sie bedeutete.
    Sie suchte nun erst gar nicht mehr nach einer Schere, sondern zerrte ungeduldig die Kordel vom dickeren Bündel. Dann öffnete sie einen der Umschläge; ihre Hände zitterten, während sie das Blatt entfaltete. Der Brief war kaum mehr zu entziffern, Brandspuren und Wasserflecken hatten den Text fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Woher rührten nur diese zerstörerischen Spuren? Enttäuscht öffnete Natascha rasch den nächsten Brief, doch auch hier konnte sie kaum einen vollständigen Satz ausmachen. Rechts oben sah sie eine Jahreszahl. 1915. Mein Gott, diese Briefe waren richtig alt, sie hatten zwei Kriege hinter sich. Wer weiß, wo Großmutter die Briefe in all der Zeit aufbewahrt hatte.
    Natascha bezweifelte keine Sekunde, dass Großmutter Maria die Briefe erst an ihre Tochter weitergegeben hatte, als sie im Sterben lag. Wieso hatte ihre Mutter nicht dasselbe getan und ihr die Briefe samt der gelben Kiste vererbt? Oder hatte sie die Briefe etwa schlicht vergessen? Hatte womöglich Oma selbst bereits die Briefe vergessen?
    Natascha entschloss sich, alle Briefe zunächst zu öffnen, bevor sie versuchen wollte, sich einen Reim aus den lesbaren Absätzen und vereinzelten Jahreszahlen zu machen.
    Eine Viertelstunde später hatte sie die Briefe auf dem Bett in einer Reihenfolge sortiert, von der sie annahm, dass sie einigermaßen chronologisch sein mochte. Sie las den ersten Brief:
Moondo, im Februar 1914
(Unleserlich) Die Älteren des Orta-Stammes baten mich nun, Ihnen zu schreiben, um Sie zu fragen, welche Fortschritte Maria macht. (Unleserlich) Ich habe mit den Stammesälteren die Missionsstation auf Palm Island besucht, wo ich viel von Ihrer Güte gehört habe. (Unleserlich) Da Sie Maria adoptiert haben, können wir natürlich nicht erwarten, dass Sie mit uns in Kontakt bleiben, doch wir wären äußerst dankbar, wenn Sie die Zeit fänden, uns hin und wieder über Marias Entwicklung zu unterrichten.
Mit freundlichen Grüßen im Namen der Orta-People,
Helen Tanner
PO Box 12 (unleserlich)
    Helen Tanner. Wer war diese Frau? Offensichtlich eine Vertraute der Orta. Im folgenden Brief von 1915 bedankte sie sich für einen Brief, den sie von Marias Adoptiveltern erhalten haben musste. Sie schrieb:
Als ich den Ortas erzählte, dass Maria nun Deutsch spricht, waren sie voller Bewunderung für das kleine Mädchen. Es macht sie glücklich, dass sie zur Schule geht. Viele Kinder hier haben diese Möglichkeit ja nicht. Ich hoffe, ich darf erneut auf einen Bericht hoffen. Ich verstehe natürlich, wenn der Kriegsausbruch die Erfüllung meiner Bitte unmöglich machen sollte.
    Den Rest des Schreibens konnte Natascha nicht entziffern, auch die nächsten Briefe waren so zerstört, dass die lesbaren Textstellen keinen Sinn mehr ergaben. Der letzte Brief, den Natascha zumindest in Teilen lesen konnte, war auf 1918 datiert:
Lieber Herbert, liebe Irmtraud,
die Stammesälteren sind sehr dankbar, dass Ihr ihnen trotz des schrecklichen Krieges über Maria berichtet habt. (Unleserlich) Wir sind froh, dass Ihr und Maria den Krieg gut überstanden habt. (Unleserlich) Die Stammesälteren möchten, dass Ihr wisst, dass sie Euch und Maria mittels ihrer Tänze und ihrer Gedanken ihren Schutz übersandt haben. (Unleserlich) Eure Briefe sind ein großer Trost für uns.
Herzliche Grüße,
Helen Tanner
    Die dreizehn weiteren Briefe des Bündels waren völlig unbrauchbar.
    Natascha legte ihren Kopf in den Nacken, starrte an die Decke. Das Mädchen, um das es in dieser Korrespondenz zwischen Aborigines und den Adoptiveltern ging, war zweifellos ihre eigene Großmutter. Maria hatte nie von der Zeit vor Deutschland gesprochen, aber sie war ja auch erst sechs oder sieben Jahre alt gewesen, als sie mit den Missionaren das Land verlassen hatte. Wieder begann es in Nataschas Kopf zu schwirren. Wenn dieser Stamm eine so enge Bindung an Maria hatte und diese – wie es in der Adoptionsurkunde stand – ein Halbblut war, bedeutete das dann nicht, dass zumindest ein Elternteil von Maria bei den Orta aufgewachsen sein musste? Wenn, dann wahrscheinlich die Mutter. Der weiße Vater würde sich wohl schnell aus dem Staub gemacht haben, vermutete Natascha. Vor ihrem inneren Auge flackerte ein fremdes Leben auf, die wahre Geschichte ihrer Großmutter.
    In Reginas Wandschrank hatte ein altes Foto
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