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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter
Autoren: Sandra Henke
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auch ein Lebensabschnitt zu Ende ging. Sie würde sich eine eigene Wohnung und einen neuen Job suchen, auch wenn sie sicher war, dass Cheng sie weiterhin bei sich beschäftigen würde.
    Aber damit war auch der Weg frei für eine neue Beziehung.
    Ich bin ein Single, dachte Naomi mit gemischten Gefühlen. Sie musste unbedingt mit Samuel über sein Journal und das Sachbuch reden.
    »Ich werde dann mal abfahren«, sagte Cheng.
    Sein frostiger Ton tat ihr weh. Er vermied es, sie anzusehen.
    »Ich komme morgen nach, denn ich habe noch einiges mit meiner Familie zu besprechen.« Sie hatte zwar keinen Freund mehr, hatte dafür aber einen Vater gewonnen. Die Entwicklungen der letzten Tage hauten sie fast aus den Schuhen, aber sie bemühte sich, die Haltung zu wahren, denn noch gab es eine Sache zu klären. Sam.
    Gemeinsam gingen sie ins Erdgeschoss, wo sie auf Rachel trafen. Schimpfend steuerte sie auf das Telefon zu, das im Flur auf dem Sideboard stand.
    Als sie Naomi und Cheng bemerkte, schluckte sie ihre letzten Flüche herunter. »Ein Bekannter wollte mich mit seinem Pick-up abholen und zum Hauptbahnhof nach Napa bringen, aber er kommt einfach nicht. Jetzt muss ich neben der Fahrkarte nach Salinas auch noch ein Taxi bezahlen. Wofür habe ich eigentlich den ganzen Monat geschuftet?«
    »Ich kann dich mitnehmen.« Cheng zuckte mit den Achseln.
    Nachdenklich kaute Rachel auf ihrer Unterlippe herum und fragte dann: »Liegt Napa City denn auf deinem Weg?«
    »Wenn ich will, schon.« Aus dem Augenwinkel sah Cheng Naomi an, als wollte er ihre Reaktion prüfen, und setzte seinen Anglerhut auf.
    »Echt?« Rachels Augen leuchteten und einen Moment lang sah sie so aus, als wollte sie Cheng um den Hals fallen, doch wegen Naomi hielt sie sich zurück.
    »Der kleine Umweg macht mir nichts aus.« Seine Stimme klang trotzig.
    Er begleitete Rachel zu seinem Lincoln und drehte sich nur kurz zu Naomi um, eine Hand zum stummen Abschiedsgruß gehoben. Dann fuhren sie ab.
    Während Naomi ihnen hinterherwinkte, hegte sie die Hoffnung, dass Cheng bald ein neues Glück finden würde.
    Aufgeregt nahm sie das Moleskin aus der Tasche ihres Kleids, atmete tief durch und machte sich auf den Weg zum Gästehaus.

27
    Samuel saß in der Hängematte auf der Veranda vor dem Haus. In der Hand hielt er ein Glas Rotwein. Er war so in Gedanken versunken, dass er Naomi zuerst gar nicht bemerkte. Erst als sie schon vor den zwei Treppenstufen stand, die auf die Terrasse führten, wurde sein Blick klarer. Aber er erhob sich nicht, um zu ihr zu kommen, sondern er schaute sie einfach nur an. Seine Miene war finster, aber nicht abweisend oder mürrisch, sondern als wäre er nicht sonderlich glücklich darüber, wie sich alles entwickelt hatte. Als befürchtete er schlechte Nachrichten.
    Naomis Herz schlug bis zum Hals. Sie war unsicher, ob die Geschichte, die sie beide verband, ein gutes Ende nehmen konnte, immerhin hatte er sie mit unlauteren Mitteln in seine Arme getrieben, und sie hatte ihn im Unklaren über Cheng gelassen. Mit zittriger Hand legte sie das Moleskin auf die Balustrade, die die Veranda umgab, und wie eine Barriere zwischen ihr und Sam wirkte. »Ich bringe dir dein Journal zurück.«
    Noch immer blieb er in der Hängematte sitzen. Er schwenkte sein Glas und betrachtete den rotierenden Wein. Schließlich nahm er einen Schluck und sah auf. »Hast du es gelesen?«
    Auf einmal überkam sie Angst. Wenn sie seine Frage jetzt bejahte, würden sie über Liebe sprechen, aber sie hatte sich gerade erst von ihrem Freund getrennt. Alles ging plötzlich viel zu schnell. In einer Sekunde war sie fest liiert, in der nächsten solo. Von einem Moment zum anderen hatte sie einen Vater, der noch lebte. Daher lenkte sie ab: »Du bist Sachbuchautor. Ich habe den Wein-Almanach gesehen.«
    »Ich schreibe, ja«, sagte er lapidar und stellte das Glas auf dem Beistelltisch ab.
    »Auch für die Boulevardpresse.« Ihr Gesicht verzog sich eine Sekunde lang zu einem abfälligen Grinsen. »Ich habe deine Artikel gelesen.«
    Schwungvoll erhob er sich. Er kam zum Geländer und setzte sich mit einer Gesäßhälfte darauf. »Das ist lange her, sehr lange. Damals probierte ich verschiedene Dinge aus. Was liegt in Kalifornien näher, als über Promis zu schreiben? Die Geschichten liegen förmlich auf der Straße herum, ich habe sie nur aufheben müssen, dachte ich zumindest in meiner Naivität. Aber man muss bohren, die Prominenten verfolgen, Druck ausüben, sie absichtlich in peinliche
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