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Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe

Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe

Titel: Der Fürst der Wölfe - Wegner, L: Fürst der Wölfe
Autoren: Lara Wegner
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ihren Besitztümern. Als sie von Genua auf einem Segler nach Frankreich übersetzte, war der ebenfalls gestohlene Schrankkoffer prall gefüllt mit Kleidungsstücken für nahezu jeden Anlass. In Frankreich angekommen, hatte sie zunächst mit dem Gedanken gespielt, ihrer Nichte in Paris einen Besuch abzustatten. Florine de Garou war die sterbliche Tochter von Mica, besaß dasselbe alte Blut, das auch in Berenike floss, und hatte den Fehler begangen, einen Werwolf zu ehelichen. Das war ein guter Grund, von einem Besuch abzusehen. Schließlich hatte sie vor, einen Alphawolf aus dieser Sippe zu erschießen. Die einzige Möglichkeit, den absurden Friedenswunsch ihres Bruders zunichtezumachen. Ohne Umwege war sie weitergereist nach Calais. Bevor sie den Ärmelkanal überquerte, hatte sie eine Armbrust erstanden und sich von einem Schmied Silberpfeile anfertigen lassen.
    Der feste Wille, sich zu beweisen, hatte sie zu diesen Schritten verleitet, und derselbe Wille hinderte sie, nach Hause zurückzukehren. Denn obgleich sie gewappnet und auf alles vorbereitet war, war die Begeisterung für ihren Mordplan abgeflaut. Schuld gab sie der Tristesse dieser Stadt. London schlug ihr, die an die Sonne, das milde Klima und die Musik in der Sprache der Italiener gewohnt war, aufs Gemüt. Das Haus, in dem sie untergekommen war, trug auch nicht dazu bei, ihre Stimmung zu heben.
    Mithin wäre es klüger gewesen, ein leer stehendes Haus zu beziehen. Doch falls Mica oder Selene nach ihr suchten, würden ihre ersten Schritte sie zu unbewohnten Häusern führen. Ein schmales Häuschen in der Curzon Street, in dessen Fenster ein Schild Zimmer zu moderaten Preisen anbot, würden sie hingegen übersehen. Moderat, fürwahr! Schäbig traf es besser. Insbesondere im Vergleich zu dem Luxus einer römischen Villa, in der Berenike die ersten vierunddreißig Jahre ihres Daseins verbracht hatte. Statt eines süßen Lebens boten sich hier Klöppeldeckchen und getrocknete Blumensträuße. Auf dem Mobiliar lag eine dünne Staubschicht. Geringschätzig musterte sie die Hausherrin. Mrs. Abigail Lamb fügte sich nahtlos in dieses Bild kleinbürgerlicher Geschmacklosigkeit ein. So hager und vertrocknet wie ihre Trockensträußchen versank sie in ihren ausladenden Taftröcken. Außerdem trug sie eine viel zu große Perücke für ihren verdorrten Kopf. Unter den Taftröcken drang ein gelegentliches Plätschern hervor. Die alte Frau badete offenbar ihre Füße in einer Schüssel mit heißem Wasser, während ihr einziger Hausgast mit einem mickrigen Kaminfeuer vorliebnehmen musste.
    Trotz ihres absonderlichen Äußeren nannte sich Mrs. Lamb eine Dame und hatte von hohen Kriterien in der Wahl ihrer Gäste gesprochen. Wodurch Berenike diese Ansprüche außer Kraft gesetzt hatte, darüber sann das Klappergestell gewiss im Augenblick nach. Die beiden schwarzen Striche, die sich die Greisin in Ermangelung von Augenbrauen auf die Stirn gemalt hatte, bewegten sich synchron zu ihrem Stirnrunzeln. Wässrige Äuglein waren auf Berenike gerichtet. Mit einem unterkühlten Lächeln nahm sie ihre Teetasse auf – und setzte sie sogleich wieder ab. Der Tee war kalt. Dreifach verdammt, wo war sie bloß gelandet? Wenn es noch einen Beweis brauchte, wie tief sie gesunken war, hatte sie ihn soeben erhalten. Mrs. Lamb deutete ihren Seufzer falsch und nickte.
    „Oh ja, die Zukunft einer jungen Dame ohne familiären Rückhalt ist gespickt von Unabwägbarkeiten.“
    Wem sagte diese alte Schachtel das? Seit Berenike dem Kokon der Larvae entronnen war, stürzte sie von einem Unglück ins nächste. Mica und Selene hatten sie zugunsten eines Friedensschlusses sogar dem Oberhaupt der roten Wölfe in Rom anbieten wollen. Der Verlust ihres Giftes hatte ihr in der Tat jeden Rückhalt genommen. Von einem Tag auf den anderen stand sie allein in der Welt. Die Fähigkeit, andere zu blenden, war geblieben, aber was hatte sie davon, nachdem jedes Bedürfnis nach dem Blut der Sterblichen erloschen war?
    „Es liegt an hohen Erwartungen und falschen Zielen, Miss Hunter“, fuhr Mrs. Lamb fort. „London ist ein gefährliches Pflaster. Vor allem, wenn man so überaus exotisch aussieht wie Ihr. Kurz, das Produkt eines englischen Offiziers und einer indischen Eingeborenen ist in unserer Gesellschaft selten wohlgelitten.“
    Aus schmalen Augen fixierte Berenike die alte Dame. Sie war kein Produkt von irgendwem, sondern die Tochter eines ägyptischen Vampirs und der ältesten Lamia des alten Volkes. Das
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