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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler
Autoren: Barbara Goldstein
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wollte, dass ich in Pisa kanonisches Recht studiere, um Kardinal in Rom zu werden. Onkel Simone, ein Offizier in den Diensten von Herzog Guido, bestand darauf, dass ich die Laufbahn eines Condottiere einschlug. Ich sollte die Franzosen aus dem Land jagen und die Borgia-Sippe gleich hinterher. In diesem Augenblick begriff ich, dass es keinem von beiden um mich ging, sondern um die Einkünfte, die ich der Familie als Kardinal in Rom einbringen könnte, oder den Ruhm als Condottiere auf den Schlachtfeldern Italiens.
    Damals wusste ich nicht, wer ich war und wer ich eines Tages sein wollte – obwohl ich Platon und Aristoteles gelesen hatte. Aber ich wusste, was ich tun wollte! Erkenne dich selbst! Nicht durch Denken, durch Nachdenken vorgeformter Gedanken, sondern durch Handeln. Aber die Entscheidungen waren längst getroffen. Andere Menschen hatten sie mir abgenommen. Werde, der du bist! Diese Worte wiederholte ich immer wieder, während meine Onkel über meine Karriere stritten. Werde, der du bist, nimm deine Bestimmung an, und gehe deinen Weg! Wenn es sein muss, allein!
    Ich stand auf, verließ Gänsebraten und Familie, ließ meine Vergangenheit hinter mir und ging nach Perugia. Ich suchte Pietro di Cristoforo Vannucci auf, genannt Pietro Perugino, einen guten Freund meines Vaters. Er hatte von Giovanni Santis Tod gehört und nahm mich in seine Werkstatt in Perugia auf, obwohl ich ihm nur fünf statt der üblichen fünfzig Dukaten Lehrgeld zahlen konnte. Perugino kaufte mir neue Kleidung und Schuhe und gab mir ein Bett in seinem Haus. Er war wie ein Vater für mich.«
    »Wie lange warst du bei ihm?«, fragte sie.
    »Sechs Jahre.«
    »Und …?«
    »Wir haben uns gestritten.«
    »Und jetzt willst du nach Florenz? Was suchst du dort?«
    »Die Vollkommenheit«, lächelte ich. »Aber ich werde sie dort nicht finden. Denn ich habe sie bereits gefunden.«
    Sie starrte mich an. Und begriff. »Die Vollkommenheit ist vergänglich.«
    »Die Liebe nicht!«, widersprach ich. Meine Liebe nicht!
    »Die verträumte Verliebtheit nicht. Aber die erotische Leidenschaft schmilzt wie Schnee in der Frühlingssonne.« Sie zögerte. Meinem Blick wich sie aus. »Ich war auf dem Weg nach Rom zu meinem Vater. In Rom herrschen auch ein Jahr nach seiner Thronbesteigung als Papst Unruhen. Die Familien der Colonna und der Orsini wollen in Rom die Macht ergreifen und drohen, den Präfekten von Rom zu stürzen. Mein Vater, Papst Julius, will ein Bündnis mit den Orsini schließen, einer der mächtigsten Familien Roms. Ich werde Gian Giordano Orsini heiraten.«

    »Florenz!«
    Das erste Wort seit Stunden! Das erste Wort, seit sie mir offenbart hatte, dass sie in wenigen Tagen heiraten würde!
    Schweigend hatte ich meine Skizze und die Stifte eingesteckt, schweigend hatte sie sich angekleidet, schweigend waren wir im ersten Morgenlicht nach Norden aufgebrochen.
    Kein Blick, kein Wort. Nur unsere Körper, die sich aneinander lehnten, sich rieben, sich streichelten. Und Funken schlugen. Funken der Liebe und Funken der Hoffnung.
    Auf der alten Römerstraße Via Cassia, die Rom, Siena und Florenz verbindet, ritten wir auf die Stadt zu. Unter uns lag Florenz, die Schöne, die Elegante, die Gebildete. Die Stadt der Maler und Bildhauer, die Stadt der Humanisten – sie lag da im Tal des Arno wie eine schöne Frau, die auf ihren Liebhaber wartet. Ich sah von weitem die Stadtmauer, die Wehrtürme der Palazzi, den Campanile und Filippo Brunelleschis alles beherrschende Domkuppel.
    Vor der Porta Romana wurden wir aufgehalten. Ein Zöllner inspizierte die Ladung jedes Karrens und den Inhalt der Körbe und Säcke. Felice und ich wurden misstrauisch angestarrt, weil wir kein Gepäck bei uns hatten, aber wir wurden durchgelassen.
    Hinter dem Tor kämpften wir uns an den Tischen der Geldwechsler vorbei, die venezianische Zechinen und römische Dukaten in florentinische Goldmünzen wechselten. Doch weder Felice noch ich trugen Geld bei uns. Der Strom der Besucher riss uns mit sich. Wir folgten einem Ochsenkarren mit Gemüse in nordöstlicher Richtung durch die Gassen. Obwohl die Straßen von Florenz breiter waren als die von Urbino oder Perugia, blockierten zwei Lastkarren mit florentinischer Seide die Via Romana direkt vor dem Palazzo Pitti. Die Fahrer sprangen ab und beschimpften sich gegenseitig in ihrer toskanischen Mundart.
    Am Palazzo Pitti vorbei ritten wir zum Ponte Vecchio. Auf der Brücke herrschte ein unglaubliches Gedränge. Die Auslagen der
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