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Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)

Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)

Titel: Der frühe Vogel kann mich mal: Ein Lob der Langschläfer (German Edition)
Autoren: Bettina Hennig
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lesen: »Deutschland hat zwar auch hohe Schulden – aber wir können sie auch begleichen.« [3] Und sie lieferte auch gleich die Lösung mit: »Weil wir morgens früh aufstehen und den ganzen Tag arbeiten.« [4] Ein Rundumschlag, der selbst die nicht gerade als sanft bekannte englische Presse peinlich berührte und zu Häme, Spott und Hohn verleitete. »Get up earlier, Germans tell Greeks«, schämte sich der Guardian fremd. [5]
    Wenn frühes Aufstehen eine Garantie für wirtschaftliche Blüte wäre, stünde Sachsen-Anhalt übrigens an der Spitze der Bundesländer. In einer Umfrage der Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse, kurz forsa, zum Schlafverhalten der Bundesbürger erhielt Sachsen-Anhalt die zweifelhafte Ehre, behaupten zu können, dass seine Bewohner die aufgewecktesten seien: Sie stehen im Schnitt um 6.39 Uhr und damit neun Minuten früher auf als der Durchschnittsbundesbürger. Seitdem überbieten sich die Repräsentanten und Würdenträger des Landes einander darin, die Segnungen des Frühaufstehens zu verbreiten. In einer preisgekrönten Image-Kampagne posaunt das Land heraus: »Sachsen-Anhalt. Wir stehen früher auf.« Der langjährige Ministerpräsident Wolfgang Böhmer flankierte diesen Feldzug der strukturarmen Region mit salbungsvollen Worten. In der Mitteldeutschen Zeitung erklärte er, es ginge »um eine Lebens- und Geisteshaltung, die wir damit darstellen und fördern wollen.« [6] Und kategorisch stellt er fest: »Frühaufsteher sind leistungsbereit und wollen viel erreichen, sich bewegen, tüchtiger sein.« [7] Dementsprechend werden Frühaufsteher-Wettbewerbe ausgerufen, Frühaufsteher-Aktionen veranstaltet und sogar Frühaufsteher des Monats gekürt – ungeachtet der Frage, was beispielsweise die sympathische Hebamme, die mit diesem Preis geehrt wurde, macht, wenn ein Baby partout erst am späten Abend zur Welt kommen will.
    Bei aller Anerkennung der Wandlung, die das Chemiedreieck zwischen Leuna, Buna und Bitterfeld von der Dreckschleuder der Nation auf dem Weg zum profitablen Wirtschaftsstandpunkt durchlaufen hat, ist seit Walter Gropius’ revolutionärer Bauhaus-Bewegung allerdings immer noch nicht allzu viel los in und rund um die Landeshauptstadt Magdeburg. Im Bundesländerranking der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der WirtschaftsWoche belegt das Land 2010 in den Kategorien Wirtschaftskraft und Wohlstand jedenfalls einen müden vorletzten 15. Platz. Frühaufstehen scheint also nicht das Allheilmittel für einen Wirtschaftsboom zu sein.
    All den vollmundigen Lobpreisungen des frühen Aufstehens steht entgegen, dass schon seit längerem Wissenschaftler gegen Vorverurteilungen und Anfeindungen ankämpfen, denen Langschläfer ausgesetzt sind. Dabei verweisen sie auf biologische Dispositionen, auf die die Betroffenen keinen Einfluss haben. Es gibt Menschen, deren innere Uhr so eingestellt ist, dass ihnen das frühe Aufstehen leichtfällt, und es gibt Menschen, die abends einfach besser drauf sind. Professor Christoph Randler von der Universität Leipzig, der eine umfassende Studie zu diesem Thema durchgeführt hat, nennt diese beiden Typen »Lerchen« und »Eulen« und beklagt, dass denjenigen, die lieber ausschlafen wollen, meist mit verständnislosem Kopfschütteln begegnet wird. Denn umpolen lassen sich die verschiedenen Typen schlichtweg nicht – weder durch Lichttherapie, noch durch bunte Pillen oder frühes Zubettgehen. »Da können die einfach noch nicht einschlafen«, meint Randler. »Und den Schlaf zu erzwingen, funktioniert noch weniger, als das Wachsein irgendwie aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, dass die gegen ihre innere Uhr Lebenden kaum Appetit auf Frühstück haben und daraus weitere Defizite resultieren.« [8]
    Langschläfer, die fortlaufend zum Frühaufstehen genötigt werden, fristen so gesehen ihr Leben im dauerhaften Jetlag. Ihre innere Uhr tickt bis zu vier Stunden hinter derjenigen der Lerchen her, und je mehr sie gezwungen sind, gegen ihren natürlichen Takt zu leben, desto eher greifen sie Studien zufolge zu Alkohol und Zigaretten. Sie werden öfter krank und sind aufgrund der permanenten Asynchronität von Biorhythmus und allgemeine Alltagsanforderung weniger leistungsfähig. Vielleicht liegt gerade darin die Ursache dafür, dass ihre Umwelt die Langschläfer als lahm und schwerfällig erlebt – und dabei Ursache und Wirkung vertauscht. Es sind nicht die Eulen, die das System durch vorgebliche Leistungsverweigerung kaputtmachen,
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