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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut
Autoren: Christoph Hein
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sehr laut. Der kleine Mann, wohl der Küster, drehte den Ton leiser. Er saß vorn auf einem Stuhl, neben dem Schallplattenspieler. Eine kleine Tür in der Höhe des Altars öffnete sich, und ein Pfarrer kam herein. Er ging zu einem Pult, legte ein Buch darauf und schien dann zu beten. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah zum Küster hinüber. Schließlich räusperte er sich verhalten. Der Küster sah auf, stellte behutsam die Musik leiser, nahm den Tonarm von der Platte. Ein leises Knacken beendete die Musik. Dann redete der Pfarrer. Ersprach über Henry. Für einen Moment kam mir der alberne Einfall, er läse Henrys Personalbogen vor, weil er die Absicht habe, ihn einzustellen. Es waren wohlklingende, ausgesuchte, freundliche Worte, die er zu uns sagte, und er hatte eine schöne Stimme. Er sprach die Witwe an. Es war die junge Frau mit den zwei Kindern in der ersten Reihe. Ich fragte mich, ob die Frau die sanfte Stimme des Pfarrers bemerkt. Er hatte eine aufregend angenehme Stimme. Sie strahlte Sicherheit aus und Selbstbewußtsein. Gewiß war er eitel. Ob ein Pfarrer auch seine Frau betrügt? Ich blätterte im Gesangbuch, das auf meinem Platz gelegen hatte. Vorgeschriebene Lieder, vorgeschriebene Gesten. Zu jedem Anlaß das korrekte Verhalten. Der Vorzug jahrhundertealter Tradition. Keine Sorgen mit dem Kostüm. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Tod als Heimkehr. Ich wußte nicht, daß Henry gläubig war. Vermutlich wußte ers auch nicht. Die Korrektur der Überlebenden. Wenn meine Leiche einer indischen Sekte in die Hände fallen sollte, wird sie vermutlich auf eine indische Art zu Staub. Der Küster setzte wieder den Tonarm auf die Platte. Schade, ich hätte dem Pfarrer gern weiter zugehört. Er redet gut, sagte Großmutter, wenn ihr ein Mann gefiel. Er redet gut, der Herr Pfarrer. Er hätte ihr sicher gefallen.
    Henrys Frau hielt ihren Kopf gesenkt. Nur ab und zu flüsterte sie den Kindern etwas zu. Vermutlich Ermahnungen. Ich konnte nur ihren Rücken sehen.
    Die Musik endete, der Küster schaltete am Plattenspieler. Dann huschte er zu der kleinen Tür, aus der vorhin der Pfarrer gekommen war. Er öffnete sie und winkte. Die vier Männer mit den speckigen Zylindern, die schon den ersten Sarg aus der Kapelle getragen hatten, erschienen und stellten sich auf. Das gekrümmte Männchen räumte eilig die Kränze und Blumen ab. Und während der Pfarrer, sein Buch unter dem linken Arm haltend, zu Henrys Witwe ging, ihr die Hand reichte und flüsterte, hoben die Männermit geschickten Handbewegungen den Sarg auf und setzten ihn auf die Schultern. Sie gingen ein paar Schritte, dann ließ sie der Küster anhalten. Offenbar etwas wie ein Maître de plaisir der Traurigkeit. Der Pfarrer stellte sich mit der Frau und den Kindern hinter den Sarg. Jetzt erhoben sich auch die anderen Gäste, nahmen ihre Kränze und Blumen und stellten sich auf. Ein Gefolge. Da ich auf der letzten Bank saß, standen bereits alle abmarschbereit, als ich endlich meine Nelken zu fassen bekam. Auf dem schwarzen Tuch wirkten sie vertrocknet. Der Küster hatte die Flügeltüren geöffnet und gab den Sargträgern ein Zeichen.
    Der Weg zum Grab schien endlos zu sein. Immer neue Pfade zwischen den Grabreihen schlugen die Sargträger ein. Mir war warm, aber ich wollte den Mantel jetzt nicht ablegen. Dann sah ich das ausgehobene Grab. Der Sarg wurde auf Holzbohlen gestellt, die über der Grube lagen. Danach rollten die Männer Tragegurte aus, zogen sie unter dem Sarg hindurch und legten sie sich über die Schultern. Einer entfernte die Bretter, während er den Sarg mit dem Gurt hielt. Sie ließen ihn langsam in die Erde. Ich hatte mich so aufgestellt, daß ich die Frau beobachten konnte. Sie redete unentwegt auf die blassen Kinder ein. Der Pfarrer führte sie zu einer eisernen Schale mit Erde. Er nahm eine Handvoll und warf sie auf den Sarg. Dann trat die Frau ans Grab, danach die Kinder. Sie stellten sich neben der offenen Grube auf. Wer die Erde hineinwarf, ging anschließend zu ihnen, drückte ihnen die Hand oder umarmte sie.
    Ich war verwundert, wie leise die Erde auf den hölzernen Sarg fiel. Es war ein leichtes Rieseln, und ich glaubte, es würde poltern. Erdschollen, die auf den Sargdeckel polterten. Ich hatte das irgendwo gelesen. Meine Hand war schmutzig. Ich wußte nicht, wie ich sie säubern konnte. Es schien mir unpassend, die Hände zusammenzuschlagen. So rieb ich nur leicht die Finger gegeneinander, was wenighalf. Als
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