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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld
Autoren: Richard Ford
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vielleicht auf den richtigen Weg bringen, dachte er. Er konnte nicht mit dem Kind reden, aber er konnte ihm zuschauen, während es sich vergnügte.
    » Voulez-vous aller au parc? « sagte Austin und zeigte Leo ein großes, ernsthaftes Lächeln. » Maintenant? Peut-être? Le parc? Oui? « Er zeigte auf das offene Fenster und die kühle, stille Abendluft, durch die die Schwalben schossen.
    Leo sah ihn mit gerunzelter Stirn an und dann, immer noch benommen, zum Fenster hinaus. Er faßte sich vorn mit festem Griff an die Hose – ein Zeichen, das Austin verstand – und antwortete nicht.
    »Na, was meinste? Komm, wir gehen in den Park«, sagte Austin mit lauter, begeisterter Stimme. Er sprang beinahe auf. Leo würde es schon verstehen. Parc. Park.
    » Parc? « sagte der kleine Leo und drückte noch ängstlicher seinen kleinen Zipfel. » Maman? « sagte er und sah beinahe schwachsinnig aus.
    » Maman est dans le parc «, sagte Austin und dachte, daß sie vom Park aus Josephine sicherlich sehen würden, wenn sie vom Rechtsanwalt zurückkehrte, und daß es sich schon nicht als komplette Lüge herausstellen würde – und wenn doch, so käme Josephine schließlich irgendwann nach Hause und könnte die Situation wieder in den Griff kriegen, bevor sie zum Problem wurde.
    Es konnte sogar sein, dachte er, daß er dieses Kind danach überhaupt nie wieder sah oder daß Josephine zurückkehrte und ihn nie wiedersah oder daß Josephine zurückkehrte und ihn nie wiedersehen wollte. Obwohl ihm ein noch dunklerer Gedanke kam: daß Josephine nie wiederkam, sondern einfach beschloß, zu verschwinden, irgendwo auf dem Weg nach Hause vom Rechtsanwalt. So etwas kam vor. In Chicago wurden andauernd Babys ausgesetzt, und keiner wußte, was mit ihren Eltern passiert war oder wohin sie verschwunden waren. Er kannte niemanden, den sie kannte. Er wußte nicht, an wen er sich wenden sollte. Es war ein alptraumhafter Gedanke.
    Innerhalb von fünf Minuten hatte er Leo im Badezimmer und wieder draußen. Glücklich befriedigte Leo sein Bedürfnis, während Austin vor der Tür stand und auf das Bild von Bernards feistem, knolligem Gesicht an der Wand im Kinderzimmer starrte. Es überraschte ihn, daß Josephine es überhaupt hängen ließ. Er hatte sich regelrecht bremsen müssen, ihr nahezulegen, daß sie Bernard eine reinwürgen und ihn, wenn möglich, ordentlich bluten lassen sollte, aber später war ihm gar nicht wohl bei der Vorstellung, daß er gegen einen Mann intrigierte, den er gar nicht kannte.
    Als sie die Wohnung verließen, merkte Austin, daß er gar keinen Schlüssel hatte, weder zur Haus- noch zur Wohnungstür, und daß, wenn die Tür ins Schloß fiel, Leo und er auf sich selbst gestellt waren: ein Mann, ein Amerikaner, der ein wenig französisch sprach, allein mit einem fünf Jahre alten französischen Kind, das er nicht kannte, in einem Land, in einer Stadt, in einem Park, wo er ein völlig Fremder war. Niemand würde das für eine besonders gute Idee halten. Josephine hatte ihn nicht gebeten, mit Leo in den Park zu gehen – es war seine eigene Idee, und es war ein Risiko. Aber im Moment kam ihm sowieso alles wie ein Risiko vor – er mußte einfach nur gut aufpassen.
    Sie gingen auf die rue Ferou hinaus und um die Ecke, dann, nach einem kurzen Stück, überquerten sie eine breite Straße und gingen durch ein Ecktor in den Park hinein. Leo sagte nichts, bestand aber darauf, Austins Hand zu halten und ihn zu führen, als ob er – Leo – mit Austin in den Park ging, weil er nicht wußte, was er sonst mit ihm anfangen sollte.
    Als sie aber erst mal durch das goldverzierte Tor hindurch und auf den blassen Kieswegen waren, die labyrinthartig zwischen Hecken und Bäumen und Beeten führten, auf denen bereits die Narzissen blühten, lief Leo direkt auf einen großen betoneingefaßten Teich zu, auf dem Enten und Schwäne umherschwammen und eine Gruppe älterer Jungen Miniaturboote segeln ließ. Austin blickte zurück, um festzustellen, in welchem Haus Josephines Wohnung lag, an deren Fenster er gestanden hatte, um auf eben diesen Park zu schauen. Aber er konnte ihr Fenster nicht ausmachen, war sich nicht einmal sicher, ob er diesen Teil des Parks von Josephines Fenster aus sehen konnte. Erstens war da kein Teich gewesen, und hier waren außerdem sehr viele Leute, die in dem kühlen anhaltenden Abendlicht spazierengingen – sowohl Liebespaare als auch Ehepaare, wie es schien, die noch einen kleinen Spaziergang machten, bevor sie zum Essen
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