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Der Flug des Falken

Der Flug des Falken

Titel: Der Flug des Falken
Autoren: Victor Milan
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starrte fassungslos auf den abgerissenen Arm des Chu-i, der zwei Meter vor ihm auf den Asphalt schlug, die Nambu noch immer fest umklammert. Aus dem zerfetzten Stumpf drang kein Blut, sondern schmutziggrauer Qualm.
    Mehrere Querstraßen weiter blickte ein Mann auf einem Motorrad über die Schulter zurück und sah durch eine bis an die Schläfen gebogene Sonnenbrille einen schwarzen Rauchpilz in Madlocks schmutzigen Nachmittagshimmel steigen. Angesichts der häufigen Stromausfälle - für die die Draconier erstaunlicherweise den HPG-Kollaps verantwortlich machten - und der uralten, wie ein Virus an sämtliche Untertanen des Kombinats weitergegebenen japanischen Angewohnheit, wenn keine anderen Energiequellen zur Verfügung standen, Holzkohlegrills im Innern der Wohnung als Heizung und Kochgelegenheit zu nutzen, waren Brände alltäglich. Auch wenn Haus Kurita es geschafft hatte, die Verwendung von Reispapierwänden einzuschränken.
    Aber dies war eindeutig kein gewöhnlicher Wohnungsbrand, keine Folge eines umgestoßenen Kotat-su, der eine Shoji-Stellwand hatte in Flammen aufgehen lassen. Der Mann auf dem Mitsu-Gurewitsch Caferenner bremste, setzte ein in Leder gehülltes Bein auf den Boden und hielt das schwere Motorrad in einer Vierteldrehung an, während fluchende Radfahrer und Fußgänger beiseite hasteten.
    Es waren keine Polizisten in Sicht, die durch ihre rotweiß gestreiften Arm- und Beinschienen gekennzeichnet wären. Der Verkehr schien mäßig. Bis zum nächsten Wechsel der Sechzehn-Stunden-Schichten dauerte es noch einige Zeit. Der Fahrer sah sich noch einmal um und zog die Sonnenbrille auf die Nase, um besser sehen zu können. Er war mittelgroß, von einer Statur, die unter der gepolsterten khaki-grauen Jacke schwer erkennbar war. Er hatte stacheliges, strohblondes Haar, feine, wenn auch nicht weiter bemerkenswerte Gesichtszüge und grüne Mandelaugen.
    Er konnte nur hoffen, dass keiner seiner bisherigen Nachbarn zu Schaden gekommen war. Bevor er aus seiner Wohnung geflohen war, hatte er ein Gerät eingestellt, das vor fünfzehn Minuten einen Feueralarm hatte auslösen sollen, und zwar direkt, da die
    Rauchmelder in den Wohnungen, wie so vieles im Draconis-Kombinat, nur sporadisch gewartet wurden.
    Ebenso sehr hoffte er, dass seine kleine Überraschung die Konten einiger der bezahlten Schläger Haus Kuritas geschlossen hatte. Zugegeben, es würde hauptsächlich untere Chargen getroffen haben, aber es waren die Freundlichen Berater auf der Straße, unter denen das einfache Volk am meisten litt. Die wahren Folterkünstler der ISA verschwendeten ihr Können nicht an alltägliche Opfer.
    Er verzog den Mund zu einem nicht wirklich freundlichen Lächeln. Vermutlich war das Letzte, was der erste Streifenschläger, der sein winziges Schlafzimmer betrat, in diesem Leben gesehen hatte, eine einzelne Spielkarte gewesen: ein Herzbube. Natürlich hatte er sie aufgehoben...
    Und damit hatte er eine Serie von Pentaglyzerinladungen ausgelöst, die zusammen mit Plastikbehältern voller Benzin, das aus den Tanks offizieller Verbrennungsmotorfahrzeuge abgezapft wurde, überall in der kleinen Wohnung verteilt waren.
    Die Spielkarte selbst würde die Feuersbrust vermutlich nicht überstehen, die momentan eine durchaus zufrieden stellende Säule aus pechschwarzem Qualm in den smogverhangenen Himmel der Stadt schickte. Falls doch, dann war die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sie bei der Durchsuchung der Trümmer übersah. Mit Sicherheit würden die für die Untersuchung Verantwortlichen weit mehr daran interessiert sein, irgendjemand anderen als sich selbst zu finden, dem sie dieses Debakel anlasten konnten, als die tatsächlichen Umstände aufzuklären. Und selbst wenn sie überlebte und jemand sie fand, bedeutete das noch nicht, dass man auch ihre Bedeutung erkannte. Das hing ganz davon ab, ob es zivile Polizisten waren, die sie fanden, oder völlig überlastete ISA-Agenten.
    Der Mann auf dem schweren draconischen Motorrad war ein Künstler. Sein Medium war das Chaos.
    Er hasste jede Autorität oder Regierung. Das war das alles beherrschende Leitmotiv seines Daseins. Selbst die Regierung, der er diente. Er betrachtete sie nur als das geringste der zur Auswahl stehenden Übel, den totalitären Gouvernantenstaat der Republik eingeschlossen, der nach dem Zusammenbruch des HPG-Netzes gerade langsam aber sicher kollabierte.
    Seine Vorgesetzten ihrerseits übersahen seine Eigenheiten, auch wenn von Mitgliedern seiner Institution
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