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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Wege gegangen im Sommer, und später dann bin ich allein in die Fusch gefahren, zu nichts als zum Arbeiten … Alles hat sich sehr verändert hier und hat sich doch nicht verändert. Es ist viel gebaut worden, vier Hotels gibt es jetzt, sie haben elektrisches Licht seit vorigem Jahr, aber auf jedem Zimmer ist auch eine Petroleumlampe, weil der Strom oft ausfällt. Ich fürchte, der Carl hat keine Freud’ gehabt mit mir. Bei einem Ausflug mit dem Automobil ist mir schlecht geworden, das Herz, wir haben umkehren …
    Nein, das durfte er ihr nicht schreiben.
    Immer wieder hab ich beim Spazierengehen in Gedanken Briefe an Dich geschrieben, und abends, auf meinem Zimmer, hab ich gemeint, ich hätte Dir tatsächlich geschrieben …
    Leider sagen sie, daß das Wetter sich bald wieder ändern wird. Es ist halt mein furchtbares Erbteil der Mutter …, meine physische Anlage, die Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Luft, die furchtbare Wetterfühligkeit … Aber das weißt Du ohnehin seit fünfundzwanzig Jahren. Du hast natürlich Recht gehabt, meine heftige Reaktion auf den Essay vom Rudolf war weit übertrieben, auch jene gegen den Artikel vom Josef Nadler. Ich hab mir ja den Band mitgenommen, hab in Lenzerheide Verschiedenes noch einmal gelesen. Immer verderb ich es mir mit Leuten, die es gut mit mir und meinen Sachen meinen
.
    Zu meinem Sechzigsten verreisen wir drei Monate, ja?
    Ist das Ramgut derzeit bewohnt? Ich hab der Yella Oppenheimer aus der Schweiz geschrieben, bis jetzt aber keine Antwort bekommen. Den Carl habe ich für den September nach Aussee eingeladen. Wir werden schon Platz haben alle, sonst bitte ich die Yella wieder um mein Kammerl. Könnte die Christiane vielleicht hinaufschauen, ob sie in der Bibliothek die Hauptwerke von Platon haben
, Das Gastmahl.
Hab ich Dir nicht einmal die schöne Rede der Diotima vorgelesen? Und eventuell die Hetärengespräche vom Lukian? Die beiden bräuchte ich dann für meinen
Timon.
Sonst müßte ich mir die Sachen aus Wien schicken lassen. Arbeiten tu ich noch nicht, nicht richtig, du weißt ja, dieses ewige Auf und Ab der Phantasie … manchmal der trügerische Reichtum, dann wieder eine Zeitlang Ebbe … Aber sorg Dich nicht: Wenn ich nicht arbeiten kann, steck ich mir ein Buch ein und spazier zu einer Bank. Weißt Du, seit alter Zeit hab ich hier am Fuß einer steilen Bergwiese eine Bank mit Tisch, wo ich schreibe. Wenn ich mich (früher, jetzt ist hier niemand mehr, den ich kenne, der mich kennt) mit jemandem beim Spazierengehen zwischendurch zum Reden hinsetzen wollte, hab ich andere Bänke gewählt
.

DER KELLNER im
tea-room
kam zurück und teilte ihm mit, es tue ihm sehr leid, aber die
Neue Freie Presse
sei derzeit absolut unauffindbar. Womöglich habe wieder einmal ein Gast die Zeitung mit aufs Zimmer genommen. Er gab dem Herrn Egon das
Journal
und das
Salzburger Volksblatt
in die Hand und bat ihn, den Tee auf die Zimmerrechnung zu schreiben.
    Die Nachricht vom Tod Joseph Conrads hatte ihn erschreckt:
Der 67jährige polnisch-englische Schriftsteller starb am 3. August an Herzversagen
. Dabei war ihm eingefallen, daß in diesem Jahr schon Kafka gestorben war, und vorige Woche der Komponist Ferruccio Busoni. Conrad war seit langem einer jener Romanautoren, die er schätzte. Im letzten Winter hatte er
The Secret Agent
gelesen. Er erinnerte sich noch gut, wie er damals gedacht hatte: Ja, so sollte ein Roman geschrieben sein, man mußte den Autor beim Lesen zwischen den Zeilen körperlich spüren.
    Auf der Bahnfahrt von Buchs hierher hatte er in dem Henry-James-Erzählband das Nachwort gelesen und erfahren, daß James und Conrad im Süden Englands bloß zwanzig Kilometer voneinander entfernt gewohnt hatten, daß sie einander besuchten und Briefe wechselten. Dies hatte ihn wehmütig gestimmt, weil es ihm wiederum bewußt machte, daß er weder in Rodaun, ja nicht einmal in Wien einen Kollegen hatte, mit dem er sich treffen, mit dem er wirklich reden konnte. Mit Beer-Hofmann auseinandergelebt, eine unerwiderte Liebe, auch mit Schnitzler traf er sich seit dem Krieg immer seltener. Noch mehr jedoch fehlte ihm zum Reden sein Vater. Vielleicht gerade deshalb, weil sein Vater kein Schriftsteller …
    »Ich will nicht stören … Guten Tag.«
    »Aber Sie stören doch nicht.«
    Der Doktor Krakauer. H. stand auf.
    »Ich wollte gerade aufstehen. Muß bloß jetzt zur Post, ein paar Briefe einwerfen, damit sie noch weggehen.«
    Krakauer fragte, ob er sich anschließen dürfe und

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