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Der Fliegenpalast

Der Fliegenpalast

Titel: Der Fliegenpalast
Autoren: Residenz
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oder umgekehrt.
    Als die Ottonie ihm den überaus peinlichen Vorfall in einem Brief mitgeteilt hatte, war eine Wut in ihm aufgestiegen. Hätte dieser Pannwitz die Gerty bedrängt, wäre sein Entsetzen nicht größer gewesen. Die Ottonie … wie verliebt ich zeitweise in sie gewesen bin, dachte er. Die Briefgespräche mit ihr wenigstens waren ihm erhalten geblieben. Seine Frau hatte einmal gemeint, allein sein Briefwerk sei mehr, als die meisten Autoren geleistet hätten.

WIE SPÄT war es? Das 14-Uhr-Postauto jedenfalls hatte er versäumt. Er hatte ein wenig in Zell am See durch die Gassen streifen wollen, ein Geschenk für seine Frau suchen, das er ihr nach Altaussee mitbringen würde. Er freute sich darauf, wenn er mit der Gerty allein war, um dann – hoffentlich hielt das Wetter halbwegs – bis in den November hinein in der vertrauten Umgebung zu arbeiten. Wenn er fern von zuhause war, empfand er oft eine heftige Zärtlichkeit für sie; daheim dann spürte er diese Zuneigung seltener. Es war schwierig, unterwegs etwas für sie zu kaufen, lieber war ihm seit jeher gewesen, sie suchte sich selber etwas aus.
    Er ordnete die Blätter aus seiner Schreibmappe. Wahrscheinlich hatte sie der Doktor Krakauer nach seinem Sturz neulich zusammengesucht und hineingelegt. Außer einigen Notizen zum
Timon
hatte er an diesem Tag, wie auch am Tag davor, nichts zustande gebracht. Auf dem Heimweg hatte er sich gesagt: Absurd, hierher gekommen zu sein. Ich hätte in der Schweiz bleiben sollen, vielleicht wäre ich, nachdem Carl abgereist war, in Lenzerheide dann doch noch ins Arbeiten hineingekommen.
    Tee trinken! Eine Tasse guten Tees … Aber den bekam man hier nicht. Nicht mehr. In Lenzerheide ja, ein Paradies, was den Kaffee, den Tee und die Mehlspeisen anlangte.
    Als er am Montag nach seinem Sturz auf der Bank gelegen war, halb ohnmächtig, hatte er gefühlt, daß etwas ihn davonzog, wohin? Dann war er wach geworden, hatte die üppige Blätterwelt der Buche über sich bewundert. Vielleicht hatte es ihn dahinein gezogen. In jungen Jahren manchmal Zustände … Wie lauteten die Zeilen in den Terzinen?
    Und wissen, daß das Leben jetzt aus ihren
    Schlaftrunknen Gliedern still hinüberfließt
    In Bäum und Gras …
    Das Geländer an der kleinen Brücke über den Bach – ein Stützpfosten fehlte, das Geländer wakkelte –, da hatte es angefangen. Dann der lange, hohe, schiefe Holzstoß neben dem Bach, mit einer Kette an einer Fichte gesichert – trotzdem hatte er jedes Mal Angst, der mächtige Stoß könnte losbrechen, ihn unter sich begraben, während er vorüberging. Ein Ausweichen wäre nicht möglich, weil der schmale Weg auf der anderen Seite durch eine hohe Böschung begrenzt wurde.
    Das Erschrecken gestern und heute … Gespenster! Oder wurde er senil? Gestern, als ihm wegen der warmen Winde der Schädel zu zerspringen drohte, als er nach dem Frühstück auf der Terrasse saß und die
Neue Freie Presse
las und abermals überlegte, der Gerty zu telegrafieren, ob seine Kammer schon frei sei, ob der Franzl vielleicht schon nach Wien zurückgekehrt sei, sah er plötzlich, wie jener Herr sich ihm näherte. Das ist ja der Rudolf Borchardt, war ihm vorgekommen, und er war heftig erschrocken. Möchte er unseren Konflikt wegen des
Eranos
-Bandes besprechen, klären? Am Vorabend hatte er wieder in Borchardts Übersetzung der
Imaginären Unterhaltungen
von Walter Savage Landor geblättert und gelesen; es handelte sich ja um ein Genre, in dem er selber gearbeitet und veröffentlicht hatte. Abends hatte er dann eine Idee für ein erfundenes Gespräch notiert:
Die Freunde
.
    Das schmale, beinah dunkelhäutige Gesicht des Herrn, der dann vor seinem Tisch stand und im schönsten Wienerisch fragte, ob die
Neue Freie Presse
auf seinem Tisch frei sei. Er war so erleichtert, daß er dem Herrn die Zeitung, den Griff der Halterung entgegenstreckte: »Aber bitte sehr!« Wie außerordentlich dumm, zu denken, der schwer beleidigte Rudolf Borchardt könnte hier in Bad Fusch auftauchen! Jetzt erst merkte er, daß es sich um einen Kriegsverletzten handelte, mit einem künstlichen rechten Arm und einer Hand aus schwarzem Leder. Im Speisesaal sah man auch Männer, die sich mit Hilfe von Krücken fortbewegten. Am nächsten Tag, hatte der Portier ihm gesagt, würden neue Gäste ankommen; er hoffte, es wäre kein ihm bekanntes Gesicht dabei.
    Vor zwei Tagen, als er dem Portier einige Briefe zum Frankieren übergeben hatte und danach am Ende der Rezeption
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