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Der falsche Zeuge

Der falsche Zeuge

Titel: Der falsche Zeuge
Autoren: Stella Blómkvist
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gründlicher Suche finde ich endlich das Tablettenglas. Im halb vollen Mülleimer in der Küche. Es ist leer, und es ist in einer Sprache beschriftet, die ich nicht verstehe.
    Ich nehme das Gläschen mit in meinen Silberschlitten. Das Foto auch.
    Jetzt hat es richtig angefangen zu regnen.
    Ist mir völlig egal.
    Ich verschwende noch nicht mal einen Gedanken an meine Lederjacke. Weiß, dass sie sowieso nicht zu retten ist, nachdem ich beide Arme ins Badewasser getaucht habe, um das Mädchen herauszuheben. Eine Jacke spielt keine Rolle.
    Jedenfalls jetzt nicht.
    Auf der Intensivstation der Uniklinik lande ich in nicht enden wollenden Disputen. Muss der Belegschaft x-mal erklären, warum ich ein Recht habe, Informationen über ein Mädchen zu bekommen, von dem ich noch nicht einmal weiß, wie es heißt.
    Schließlich gelingt es mir, den jungen Arzt zu überzeugen, der erklärt, dass er sie im Krankenhaus in Empfang genommen hat. Aber erst, als ich ihm das Tablettenglas zeige, das er sofort ins Labor schickt.
    »Wir halten sie im künstlichen Schlaf, und sie wird beatmet«, sagt er, »aber um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob das etwas bringt.«
    »Ich möchte sie gerne sehen.«
    Sie sieht jetzt sogar noch bleicher aus als vorhin, als ich sie in der Badewanne gefunden hatte.
    Die dicken schwarzen Haarsträhnen liegen wie angeklebt um das hübsche Gesicht herum, so dass sie wie ein dicker dunkler Rahmen aussehen. Sie umrahmen das, was man vor lauter Maske und Schläuchen überhaupt noch sehen kann.
    Was zum Kuckuck konnte so ein unschuldiges kleines Mädchen dazu bringen, zu solch einer schrecklich endgültigen Maßnahme zu greifen?
    Plötzlich überfällt mich ein schlimmer Verdacht.
    Was denn sonst?
    »Habt ihr sie von oben bis unten untersucht?«, frage ich barsch.
    Der junge Arzt reagiert ungehalten. »Was glaubst du denn, wie wir hier arbeiten?«, fragt er mit Nachdruck zurück.
    »Habt ihr Anzeichen von Vergewaltigung gefunden?«
    Er wirft mir einen schnellen Blick zu. »Vergewaltigung?«, wiederholt er verwundert.
    »Habt ihr das noch nicht geklärt?«
    »Wir hatten keinen Grund, so etwas zu vermuten.«
    »Dann habt ihr es jetzt.«
    Er scheint immer noch zu zweifeln.
    »Lass einen Spezialisten von der Notaufnahme für Vergewaltigungsopfer kommen«, füge ich hinzu, als ob die Sache klar wäre. »Dann besteht keine Gefahr, dass Beweismaterial vernichtet wird.«
    »Wir brauchen keine Anweisungen von Leuten von der Straße«, antwortet er schnippisch. »Wir sind ja keine Amateure in unserem Fach.«
    Aber er wird auf meinen Rat hören. Ich habe das im Gefühl.
    Auf dem Weg nach Hause will das bleiche Gesicht des Mädchens einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden. Und die Wut in meinem Bauch wächst und wächst. Mir ist nur noch nicht klar, ob sie sich auf diesen Sergei oder jemand anderen zu richten hat.
    Aber eins ist sicher: Es gibt keine Gnade. Wenn ich dahinter gekommen bin, wer die Verantwortung trägt.
    »Am bittersten ist der Sieg des Bösen.«
    Sagt Mama.

4
    In meinem Reihenhaus ist alles ruhig, als ich endlich nach Hause komme.
    Keine Cora mehr, die mich mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen und verführerischem Essensduft in der Küche empfängt. Sie hat sich verliebt. Ist mit meinem Cousin Sindri, dem Computergenie, zusammengezogen.
    Sie haben sich bei mir zu Hause kennen gelernt, und die Liebe erblühte im Handumdrehen. Cora erzählt mir ab und zu, wie sehr er sich bemüht, sie in die Geheimnisse der Computerwelt einzuweihen.
    Ásta wartet auch nicht mehr auf mich im Schlafzimmer.
    Sie hat mich verlassen. Hat ein schwedisches Mädchen an der Uni kennen gelernt. Ist mit ihr nach Schweden gegangen. Möchte dort weiter studieren. Sie schreiben mir manchmal eine E-Mail. Und schicken Fotos von sich mit. Mich macht es immer noch traurig, sie fröhlich lachend mit einer anderen zu sehen. Obwohl sie weit weg sind.
    Ich habe tapfer versucht, sie zu vergessen. Sie in das schwarze Loch der Vergangenheit einzusperren. In die historische Schlangengrube. Dahin, wo auch alles andere gewandert ist, das aus meinem Leben verschwunden ist.
    Manchmal gelingt es mir. Bis ich die nächste E-Mail bekomme.
    Aber ich habe ja immer noch Jackie. Den Freund, der immer zu einem hält. Ich erlaube ihm, mir auf der Zunge zu brennen. So lange, wie ich es aushalte. Lasse dann die brennend heiße Flüssigkeit ganz langsam hinunterrinnen. Fühle, wie sich das starke Feuerwasser aus Tennessee im Körper
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