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Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus

Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus

Titel: Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus
Autoren: Eva J.
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Feiertagen von allen möglichen Leuten (vom Eiermann, den
Freunden meiner Brüder, mir und meiner Cousine oder den Mitbewohnern des Dreiparteienmietshauses)
restlos aufgegessen. Und so sorgte meine Mutter erneut, fleißig und in tagelanger
Arbeit für reichlich Nachschub, all das mit stoischer Ruhe und Geduld. Sie schmückte
die Wohnung mit viel Liebe und Mühe. Strohsterne und Fensterbilder aus Transparentpapier
und schwarzem Pappkarton wurden gebastelt und es wurde der schönste Weihnachtsbaum
rangeschafft, den der Markt zu bieten hatte. Ich erinnere mich an diese
kribbelige innere Spannung am Morgen des Heiligen Abends. Unsere Wohnzimmertür
war mit einer Glasscheibe versehen, die allerdings blickdicht war. Man konnte
nur Licht und schemenhafte Umrisse von Menschen oder Dingen erkennen. Meine
Mutter schmückte am frühen Nachmittag den Baum und die Tür war ab diesem Zeitpunkt
für uns Kinder verschlossen. Ich habe mir die Nase an der Scheibe platt gedrückt,
um die Geheimnisse hinter der Tür zu erhaschen. Das war so wunderschön und
aufregend. So, wie man sich am Heiligen Abend seine Gefühlswelt wünscht.
    „Das
Fett ist noch nicht heiß genug!“ Hochroten Kopfes, die Fäuste geballt, tobte
mein Vater um den Tisch, um uns und um das Fondue herum. Meine Großmutter
sagte: „Ach, jetzt stell dich doch nicht so an. Es ist genau richtig.“
    Meine
Mutter: „Jetzt seid doch ruhig und lasst uns in Ruhe essen. Dann warten wir
eben noch ein paar Minuten!“
    Darauf
mein Vater: „Du hältst dich gefälligst da raus. Und fall mir mit deiner Mutter
nicht schon wieder in den Rücken!“
    Sven
und seine neue Freundin rüsteten sich zum Gehen. Ich spüre noch heute den Klos
im Hals, wenn ich an diese Szene denke. Das Fest war gehalten.
    Streitigkeiten
dieser Art sind sicher keine Seltenheit. Besonders Weihnachten, wenn die ganze Familie
beisammen ist, sind solche Szenen vorprogrammiert. Und doch – es waren gerade solche
Situationen, von denen es bei uns zu Hause reichlich gab, auch unabhängig von
Feiertagen, die mich dazu brachten, in meine Scheinwelt zu fliehen, um mir dort
ein besseres Leben aufzubauen.
     
    Es
ist dunkel in meinem Zimmer. Das, was die Jalousie wegen eines kleinen Defekts
nicht abdunkeln kann, wird mit einer Decke zugehängt. Damit es stockdunkel ist
und mich kein Licht der Welt da draußen aus meiner eigenen Welt reißt ...
    Es
fing schon sehr früh an. Meine Mutter erzählte mir kürzlich erst, dass ich,
bereits bevor ich sprechen konnte, gesungen habe, was das Zeug hält, und dabei
glasklar jeden Ton traf. Ich sang überall, wo ich Publikum hatte. Beim Einkaufen
an der Kasse, im Wartezimmer beim Arzt, auf Heimatfesten auf dem Tisch,
begleitet von irgendjemandem auf irgendeinem Instrument, auf Hochzeiten und zu
tausend anderen Anlässen. Ich stand immer vor der Bühne und erhaschte mir einen
kleinen Auftritt.
    Zweifelsohne
hatte ich ein musikalisches Talent, aber den Löwenanteil investierte ich leider
in die übelste und ungesündeste Art und Weise. Nämlich, um mich selbst aus der
Realität hinaus zu befördern, hinein in eine Scheinwelt. Meine Mutter machte
sich anfangs Gedanken darüber, warum eine Dreijährige am helllichten Tag im
dunklen Zimmer liegen will, um stundenlang Heintje zu hören und dabei unentwegt
im Rhythmus der Musik mit dem Kopf auf dem Kissen hin und her wackelte. Stundenlang
– jeden Tag.
    Eine
Freundin gab ihr schließlich den Rat, es einfach hinzunehmen. Sie selbst hätte
als Kind oft mit dem Kopf gegen das Bett geschlagen und wäre trotzdem eine ganz
normale erwachsene Frau geworden. Wer sie war, weiß ich nicht, und auch nicht,
ob sie ihr Leben tatsächlich „normal“ leben konnte, aber eines dürfte sicher
sein: Es war nicht gerade der beste Rat, den meine Mutter da beherzigt hatte.
    Also
ließ sie mich machen. Sicher kam sie hier und da in mein Zimmer, um mich dazu
zu motivieren, auch mal etwas anderes zu tun, aber entweder war mein Wille zu
stark – was in Anbetracht der Situation kaum zu glauben ist – oder ihr
Durchsetzungsvermögen war einfach
    zu
schwach. Vielleicht wäre, hätten meine Eltern eine einigermaßen harmonische Ehe
geführt und, was die Kindererziehung betraf, an einem Strang gezogen, einiges
anders gekommen. Aber meine Mutter war mit dieser Situation und mir als kleine
starke Persönlichkeit auf sich alleine gestellt und rettungslos überfordert.
    Ich
baute mir zu jedem Lied bestimmte Themen auf. Mal war ich ein Star auf der
Bühne, mal war
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