Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Fall Charles Dexter Ward

Titel: Der Fall Charles Dexter Ward
Autoren: H. P. Lovecraft
Vom Netzwerk:
von dem einzigen Menschen zu bekommen, der sie zu erteilen in der Lage gewesen wäre - und besuchten den jungen Charles in der Irrenanstalt. Mit einfachen, ernsten Worten schilderte Willett ihm alles, was er erlebt hatte, und bemerkte, wie blaß der junge Mann wurde, als jede neue Beschreibung des Doktors ihn mehr von der Wahrheit seines Berichts überzeugte. Der Doktor arbeitete mit soviel dramatischen Effekten, wie er konnte, und er wollte sehen, ob Charles zusammenzucken würde, wenn er auf die verschlossenen Schächte und die namenlosen Kreaturen darin zu sprechen kam. Doch Ward zuckte mit keiner Wimper. Willett hielt inne, und seine Stimme klang empört, als er davon sprach, wie diese Wesen dem Hungertod ausgeliefert seien. Er wollte den jungen Mann durch die Schilderung dieser schockierenden Unmenschlichkeit auf die Probe stellen und schauderte, als dieser ihm nur mit einem sardonischen Lachen antwortete. Denn da er gemerkt hatte, daß es zwecklos war, die Existenz der Krypta abzustreiten, schien Charles die ganze Sache als einen gespenstischen Scherz hinstellen zu wollen; er kicherte heiser über irgend etwas, das ihn zu amüsieren schien. Dann sagte er mit flüsternder und wegen ihrer Rauheit doppelt widerwärtiger Stimme: »Zur Hölle mit ihnen, sie essen ja, aber sie brauchen nicht zu essen! Ihr macht mir Spaß! Einen Monat ohne Essen, sagt Ihr? Fürwahr, Sir, Ihr seid bescheiden. Hört zu, ein böser Streich wurde dem guten alten Whipple mit seiner selbstgefälligen Rechtschaffenheit gespielt! Alles umgebracht hätte er, wie? Nun, verdammt will ich sein, halb taub war er von dem Lärm draußen und sah und hörte nichts von den Schächten. Er hätt' es sich nicht träumen lassen, daß es sie überhaupt gab! Teufel noch mal, diese verdammten Dinger haben dort unten geheult, seit es Curwen vor hundert Jahren an den Kragen ging!«
    Doch mehr konnte Willett nicht aus ihm herausbekommen. Entsetzt, und trotzdem fast gegen seinen Willen überzeugt, fuhr er in seiner Erzählung fort, in der Hoffnung, irgendeine Einzelheit würde den Zuhörer doch noch aus seiner schwachsinnigen Selbstsicherheit aufrütteln. Wenn er dem jungen Mann ins Gesicht sah, erschrak der Doktor unwillkürlich über die Veränderungen, die sich in den letzten Monaten vollzogen hatten. Fürwahr, der Junge hatte namenlose Schrecken vom Himmel herabgeholt. Als der Raum mit den Formeln und dem grünlichen Pulver erwähnt wurde, zeigte Charles zum erstenmal eine Regung. Ein spöttischer Ausdruck trat auf sein Gesicht, als er hörte, was Willett auf dem Block gelesen hatte, und er wagte beiläufig zu erklären, dabei handle es sich um alte Notizen, von keinerlei Bedeutung für jemanden, der nicht sehr vertraut mit der Geschichte der Magie sei. »Aber«, so fuhr er fort, »hättet Ihr die Worte gewußt, um das zu beschwören, was ich dort in dem Becher hatte. Ihr wärt nicht hier, um mir davon zu berichten. Es war die Nummer 118, und ich meine, es wäre Euch bange geworden, hättet Ihr in meiner Liste in dem anderen Raum nachgesehen. Ich hab's nie erweckt, doch ich wollte es beschwören an dem Tag, da Ihr kamt, um mich hierher einzuladen.«
    Dann erzählte Willett von der Formel, die er gesprochen, und dem grünlich-schwarzen Rauch, der dem Becher entstiegen sei; und dabei bemerkte er zum erstenmal einen Anflug echter Angst auf Charles Wards Gesicht. »Es kam, und Ihr seid hier und lebt!«Während Ward diese Worte hervorkrächzte, schien seine Stimme sich fast von ihren Fesseln zu befreien und in hohle Abgründe unheimlicher Resonanz abzusinken. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hielt Willett den rechten Augenblick für gekommen, um in seine Antwort eine Warnung einfließen zu lassen, an die er sich aus einem der Briefe erinnerte. »Nummer 118 sagen Sie? Vergessen Sie nicht, daß die Steine heute in neun von zehn Friedhöfen alle vertauscht sind. Man ist nie sicher, bevor man es nicht probiert hat!«. Und dann holte er ohne Vorwarnung den Zettel mit der Minuskelschrift hervor und schwenkte ihn vor den Augen des Patienten. Er hätte sich keine stärkere Wirkung wünschen können, denn Charles Ward fiel auf der Stelle in Ohnmacht.
    Die ganze Unterhaltung war natürlich unter strengster Geheimhaltung geführt worden, um den Nervenärzten im Hause keinen Anlaß zudem Vorwurf zu geben, sie bestärkten einen Geistesgestörten noch in seinem Wahn. Ununterstützt auch hoben Dr. Willett und Mr. Ward den zusammengebrochenen Patienten auf und legten ihn auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher