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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3
Autoren: J. D. Salinger
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war nicht sicher gewesen, ob ich mich noch an
    alles erinnerte, aber tatsächlich hatte sich nichts verändert. Es war noch genau so wie damals.
    Innen lag der große Hof, in dem es immer dunkel war, und die Lampen waren mit einem Gitter
    geschützt, damit sie nicht in Stücke gingen, wenn ein Ball dagegen flog. Auf dem Boden waren
    immer noch die gleichen weißen Kreise für Spiele und so, und die gleichen Korbballringe ohne
    Netze daran, nur die Bretter mit den Ringen.
Ich sah keinen Menschen, vermutlich weil die große Pause vorbei war und die Mittagspause noch
    nicht angefangen hatte.
Nur ein kleiner Negerjunge begegnete mir auf dem Weg zu den Toiletten. In seiner Hüfttasche
    steckte eine Art Passierschein aus Holz, genau wie wir ihn damals gehabt hatten, zum Zeichen,
    daß man mit Erlaubnis der Lehrerin auf die Toilette ging. Ich schwitzte immer noch, aber nicht
    mehr ganz so stark. Ich setzte mich im Gang auf die unterste Treppenstufe und zog den
    Notizblock heraus. Die Treppe roch noch genau wie früher, so als ob einer draufgepinkelt
    hätte.
Diese Schulhaustreppen haben immer diesen Geruch. Ich schrieb:

Liebe Phoebe,
ich kann doch nicht mehr bis Mittwoch warten, und wahrscheinlich mache ich mich heute
    nachmittag auf den Weg nach Westen. Warte um Viertel nach zwölf an der Tür vom Kunstmuseum auf mich, wenn Du kannst; dann gebe ich Dir Dein Weihnachtsgeld zurück.
    Ich habe nicht viel ausgegeben.
Viele Grüße Holden

Die Schule war ganz nah beim Museum, und da Phoebe auf dem Heimweg ohnedies daran vorbeikam,
    wußte ich, daß sie mich leicht dort treffen konnte.
Dann ging ich die Treppe hinauf zum Rektorzimmer, um das Blatt jemandem zu geben, der es Phoebe
    in ihr Klassenzimmer bringen konnte. Ich faltete es mindestens zehnmal, damit es niemand
    aufmachte. In diesen elenden Schulen kann man keinem trauen. Aber wenn sie hörten, daß ich ihr
    Bruder war, gaben sie es sicher weiter.
Während ich die Treppe hinaufging, hatte ich plötzlich wieder das Gefühl, daß ich mich
    übergeben müßte. Aber es kam wieder nicht dazu. Ich setzte mich einen Augenblick, und daraufhin
    wurde es mir besser. Aber als ich dort saß, sah ich etwas, das mich verrückt machte. Jemand
    hatte "dich..." an die Wand geschrieben. Das machte mich wirklich fast verrückt. Ich stellte
    mir vor, wie Phoebe und alle die andern Kinder es lesen und darüber nachdenken würden, was es
    bedeutete, bis es ihnen schließlich irgendein kleiner Schmutzfink erklärte - natürlich ganz
    verzerrt. Und dann würden sie erst recht darüber nachdenken und vielleicht sogar ein paar Tage
    lang bedrückt sein. Ich hätte den Urheber gerne umgebracht. Vermutlich war es irgendein
    perverser Strolch, der sich abends oder nachts in die Schule geschlichen hatte, um dort zu
    pinkeln. Ich malte mir aus, wie ich ihn dabei erwischen und ihm den Kopf solange auf die
    Steintreppe schlagen würde, bis er blutüberströmt und tot und fertig wäre, verflucht noch mal.
    Aber ich wußte gleichzeitig, daß ich den Mut dazu nicht hätte. Ich wußte es genau! Das
    deprimierte mich noch mehr. Ich hatte sogar kaum den Mut, das Wort mit der Hand wegzureiben,
    falls jemand die Wahrheit wissen will. Ich hatte Angst, daß mich jemand dabei überraschen
    könnte und dann denken würde, ich hätte es selber geschrieben.
Immerhin rieb ich es schließlich trotzdem aus. Dann ging ich in das Rektorzimmer.
Die Vorsteherin war offenbar nicht da, aber eine ungefähr hundertjährige Dame saß an der
    Schreibmaschine. Ich sagte, ich sei Phoebe Caulfields Bruder, Klasse 46-1, und bat sie, doch
    bitte Phoebe meinen Zettel zu geben. Es sei sehr wichtig, weil meine Mutter krank sei und nicht
    für das Mittagessen sorgen könne, und Phoebe müsse mich deshalb zum Lunch in einem Restaurant
    treffen.
Die alte Dame war sehr freundlich. Sie nahm den Zettel und rief ein Fräulein aus dem Büro,
    worauf dieses Fräulein mit dem Zettel fortging. Dann schwätzte ich ein bißchen mit der
    hundertjährigen Dame. Sie war wirklich sehr nett, und ich sagte, daß sowohl ich wie meine
    Brüder hier in die Schule gegangen seien. Sie fragte, in welcher Schule ich denn jetzt sei, und
    als ich Pencey nannte, sagte sie, das sei eine ausgezeichnete Schule.
Selbst wenn es mir wichtig gewesen wäre, hätte ich nicht die Kraft gehabt, ihr das auszureden.
    Außerdem sollte sie Pencey ruhig für eine ausgezeichnete Schule halten, wenn das ihre Ansicht
    war. Ich sage hundertjährigen Leuten lieber nichts Neues. Sie
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