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Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer: Roman (German Edition)
Autoren: Alex Capus
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Einäscherung. Zwar waren Feuerbestattungen im orthodoxen Griechenland bei strenger Strafe verboten, aber im Botschaftsviertel von Athen gab es Bestattungsunternehmen, die auf ausländische Kundschaft spezialisiert waren. Gegen Aufpreis brachten sie am Tag der Beerdigung dem Popen einen mit Sandsäcken beschwerten, ansonsten aber leeren Sarg zum Friedhof und führten den Leichnam auf geheimen Wegen einer informellen Kremation zu.
    Emile Gilliéron hatte mit Nachdruck darauf verzichtet, über den präzisen Ablauf dieser Dienstleistung ins Bild gesetzt zu werden; er wollte nicht wissen, welcher Bäcker, Töpfer oder Schlosser nachts seinen Ofen zur Verfügung stellte, bevor er am nächsten Morgen im selben Ofen wieder Brötchen buk oder Wasserkrüge brannte. Erst auf der Überfahrt von Piräus nach Triest mit dem Postschiff des Lloyd Triestino war ihm der Gedanke gekommen, dass er niemals mit Sicherheit wissen würde, ob sein Vater tatsächlich kremiert oder den Haien zum Fraß vorgeworfen worden war, und ob die Zigarrenkiste in seinem Koffer nicht die Asche eines Fremden enthielt oder die zerstampften Knochen eines Straßenköters.
    Emile Gilliéron junior ist ein schöner Mann im besten Alter. Sein Gesicht ist noch immer jugendlich scharf geschnitten und goldbraun gebrannt von den Jahren, die er mit dem Vater auf den Ausgrabungsfeldern von Knossos verbracht hat, und seine Augen glühen wie die seiner italienischen Mutter Josephine, die ihn und den Vater zeitlebens mit ihrer Fürsorglichkeit und Eifersucht verfolgte. Sein Kopfhaar und der kühn geschwungene Schnurrbart sind ein wenig zu schwarz, um ganz naturbelassen zu sein, die Nase ist gerötet von der täglichen Flasche Armagnac, und in den Mundwinkeln liegt eine Spur Bitterkeit und enttäuschter Ehrgeiz. In Athen erwartet ihn seine italienische Ehefrau Ernesta, die in ihrer freien Zeit auf der Terrasse ihres Hauses liebliche Ölbilder mit der immer gleichen Ansicht der Akropolis malt, und sein erstgeborener Sohn, der auf den Namen Alfred hört und vier Jahre alt ist.

Zweites Kapitel

    Es wäre ein Zufall, wenn Emile Gilliéron bei der Ausfahrt aus dem Zürcher Hauptbahnhof das Mädchen und den Burschen wahrgenommen hätte, aber ich wünsche es mir. Ich wünsche mir, dass er zu lange im Bahnhofbuffet saß und zum Zug rennen musste, und dass er schwitzend und keuchend Hut und Mantel ablegte und seinen Koffer ins Gepäcknetz stemmte, während der Zug langsam beschleunigend aus dem Bahnhof fuhr.
    Ich wünsche mir, dass Emile Gilliéron sich ins Polster fallen lässt und um Atem ringend aus dem rechten Fenster schaut, wo in einiger Entfernung ein nachtblauer Zug vorüberfährt. In den Fenstern sind Fahrgäste zu sehen, die sich zum Aussteigen bereitmachen und durch die Seitengänge drängeln. Die Türen sind noch geschlossen, nur im hintersten Wagen sitzt ein blonder Backfisch auf dem Treppchen und gähnt mit weit aufgesperrtem Mund. Ein seltsamer Anblick um diese Jahreszeit, denkt Emile Gilliéron, das dumme Ding holt sich dort draußen den Tod. Hat sich wohl mit den Eltern gestritten und weigert sich jetzt, zurückzukehren ins warme Abteil. Hält ihre Eltern für Paviane oder Lurche, sich selbst hingegen für die Krone der Schöpfung. Wenigstens mit einer Hand an der Haltestange festhalten sollte sich die Lichtgestalt, sonst könnte es rasch ein Ende haben mit dem jugendlichen Auserwähltsein. Und die andere Hand könnte sie beim Gähnen vor den Mund halten, das sähe schon mal netter aus.
    Der blaue Zug verschwindet rechts aus dem Blickfeld, im linken Fenster wird die Sicht frei hinüber zu den Güterschuppen, wo ein junger Bursche zwischen den Gleisen dahinschlurft. Noch so eine Type, denkt Gilliéron. Der Kerl sieht aus wie einer, der sich vor den Zug werfen will, weil er zu gut ist für diese Welt. Oder zu schlecht. Sonderbare Sache, dass sich junge, schöne und gesunde Menschen vor Züge werfen müssen. Vor meinen Zug wird er es Gott sei Dank nicht schaffen, dafür ist er zu weit weg. Das dauert ja immer Stunden, bis alles wieder sauber ist und man endlich weiterfahren kann.
    Der Schaffner kommt und kontrolliert die Fahrscheine. Emile Gilliéron steckt sich eine seiner ägyptischen Zigaretten mit golden aufgedrucktem Monogramm an, dann lehnt er sich zurück und betrachtet durchs Fenster das Land seiner Ahnen, dessen puppenstubenhafte Niedlichkeit ihn bei jedem Besuch aufs Neue fasziniert. Der Zug fährt vorbei an einer putzigen kleinen Bierbrauerei, einer
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