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Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee

Titel: Der Erdsee Zyklus Bd. 1 - Der Magier der Erdsee
Autoren: Ursula K. LeGuin
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für die Landratte ist das Meer ein salziges, unbeständiges Element, das ihm fremd ist. Und das Dorf, das zwei Tagesreisen entfernt liegt, ist für den Dorfbewohner Ausland, und die Insel, zu der man in einem Tag segeln kann, nichts weiter als ein Gerücht, ein verschwommener Hügel am Horizont, aber keinesfalls fester Grund wie jener, auf dem man steht.
    So ungefähr verhielt es sich auch mit Ged, der noch nie von den Höhen des Berges heruntergekommen war und für den der Hafen von Gont ein gar wundersames, erstaunliches Ereignis war: die großen Häuser und Türme aus gefügtem Stein, der Kai mit den Anlege- und Verladerampen, den verschiedenen Becken und Molen des Hafens, in dem über fünfzig Schiffe und Galeeren am Pier schaukelten oder am Kai kieloben zur Reparatur bereit lagen oder mit eingerollten Segeln und geschlossenen Luken weit draußen vor Anker lagen, wo Matrosen sich in allen möglichen Dialekten durch Zurufe verständigten und schwerbeladene Hafenarbeiter zwischen Fässern und Kisten, zwischen aufgerollten Seilen und gebündelten Rudern hin- und herrannten, während bärtige Kaufleute in pelzgefütterten Umhängen gelassen miteinander verhandelten und vorsichtig über die glitschigen Steine am Kai schritten, wo Küfer klopften und Zimmerleute hämmerten, Muschelverkäufer singend ihre Ware anpriesen, Bootsmänner Befehle brüllten und im Hintergrund das ruhige Wasser der Bucht schimmerte. Geds Augen und Ohren, alle seine Sinne schwirrten, während er dem Hafenmeister folgte, der einem breiten Landesteg zustrebte, an dem das Schiff Schatten vertäut lag und wo er den Kapitän fand, dem er Geds Anliegen vorbrachte.
    Wenige Worte nur wurden gewechselt, und der Kapitän erklärte sich bereit, Ged als Passagier nach Rok an Bord zu nehmen, denn einem Magier schlägt man keine Bitte ab. Der Hafenmeister verließ ihn. Der Schiffer war ein großer, beleibter Mann mit einem roten Umhang, der mit Pellawipelz verbrämt war, wie ihn die Kaufleute von Andrad tragen. Er schaute Ged überhaupt nicht an, fragte ihn aber in seiner dröhnenden Stimme: »Kannst du mit dem Wetter arbeiten, Junge?«
    »Ja, das kann ich.«
    »Kannst du Wind herbeirufen?«
    Er mußte zugeben, daß er dies nicht konnte, und der Schiffer verlor das Interesse an ihm. Er hieß ihn einen Platz suchen, wo er niemandem im Wege war, und dort zu bleiben.
    Die Ruderer kamen jetzt an Bord, denn das Schiff sollte noch in der gleichen Nacht hinaus auf die Reede gerudert werden und in den ersten Morgenstunden mit der Ebbe hinaussegeln. Auf dem Schiff gab es keinen Platz, wo er nicht im Wege war, und Ged kletterte daher auf das Frachtgut, das verpackt, verschnürt und mit Lederplanen bedeckt auf dem Achterdeck gestapelt lag. Während er dort mehr hing als saß, konnte er alles beobachten, was vor sich ging. Die Ruderer sprangen mit einem Satz ins Boot, kräftige Männer mit starken Armen; Hafenarbeiter rollten donnernd Wasserfässer über die Pier und verstauten sie unter den Bänken; das gut gebaute, aber schwerbeladene Schiff lag tief im Wasser, und doch tänzelte es ein wenig auf den kleinen Wellen, die unaufhörlich an die Bordwand schlugen, als sei es ungeduldig und dränge zur Abfahrt. Der Steuermann nahm seinen Platz rechts auf dem Achterdeck ein und schaute auf den Kapitän, der auf der geschnitzten Brücke stand, die aussah wie der alte Drache von Andrad und sich an der Stelle befand, wo sich Hauptmast und Kiel trafen. Der Kapitän rief seine Befehle mit mächtiger Stimme, die Schatten wurde losgebunden und von zwei mit kräftigen Ruderschlägen angetriebenen Booten von der Pier weg hinausgeschleppt. Dann hörte Ged den Kapitän brüllen: »Luken auf!« Und die Ruder schossen donnernd hinaus, an jeder Seite fünfzehn. Die Ruderer beugten die kräftigen Rücken nach vorn und zogen gleichmäßig an den Rudern, während ein Junge neben dem Kapitän den Takt auf einer Trommel schlug. Wie eine Möwe auf ihren Schwingen pfeilschnell durch die Luft gleitet, so flog die Schatten durchs Wasser, und im Nu war das laute Treiben der Stadt hinter ihnen verklungen. Sie fuhren hinaus in die Stille der Bucht, und über ihnen erhob sich der weiße Gipfel des Berges, als hinge er über dem Meer. In einem seichten Gewässer im Schutz der südlichen Festungsklippe warfen sie Anker und verbrachten die Nacht. Unter den siebzig Schiffsleuten gab es einige, die nicht älter als Ged waren, doch alle hatten schon ihre Namengebung hinter sich und waren in die
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