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Der eiserne Wald

Der eiserne Wald

Titel: Der eiserne Wald
Autoren: Chris Howard
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feinen Wasserdampf, der zum Himmel aufstieg und die Sterne verdeckte. Ich machte die Musik leiser und fing an, mir Sorgen zu machen, dass die Klippen sich weiter ins Landesinnere verlagert haben könnten. Doch als ich schließlich anhielt, erkannte ich denselben Zaun, denselben Platz voller alter Autos, die mich an Leichen erinnerten, und den ganzen Schrott, der sich ans Erdreich klammerte. Pa hatte mich einmal hierhin mitgenommen. Damals, als ich ihn nach Zion gefragt hatte.
    »Da wären wir«, sagte ich. »Mein Teil der Abmachung ist erfüllt.«
    An dem Zaun hingen windige Schilder, die einen davor warnten, zu dicht ranzugehen. Doch als ich den Motor ausmachte, sprang Zee mit einem irren Grinsen aus dem Wagen. Ich musste hinter ihr hersprinten und sie von den Füßen reißen, damit sie nicht zu nah an die Kante lief.
    »Was soll das denn?« Wütend blinzelte sie mich an. Ihr gesamter Körper hatte sich verkrampft.
    »Du musst vorsichtig sein«, warnte ich sie, stand wieder auf und half ihr hoch. »Lass mich erst nachsehen, wie stabil es ist.«
    Ich klopfte ihr den Schmutz ab, während sie keuchte, fluchte und ihr Gesicht verbarg, als würde sie sich schämen. Als wäre es ihr unangenehm, dass ich sie so schwach und atemlos sah. Dann ließ ich sie warten, während ich an die Kante trat, umtost von diesem irren Lärm, einem Stöhnen und Heulen wie vom schlimmsten Wind, den man sich vorstellen kann.
    Angeblich kamen die Leute früher an die Küste, um sich hier zu vergnügen. Strand nannten sie diese Gegend damals. Sie sind im Wasser herumgetollt, und der Ozean war zahm und friedlich. Mit Wellen, die gerade mal gut einen Meter hoch waren.
    Nur einen Meter hoch?
    Ich starrte zu den Wellen hinunter, die an den Klippen nagten. Sie waren höher als jedes Gebäude in Vega. Flüssige Wirbelstürme, so hoch wie tausend Stockwerke. Riesige Wasserwände, die sich brüllend brachen, bis mir die Ohren weh taten. Die Gischt spritzte hoch und brannte in meiner Nase, und jenseits der Sturzwellen hob und senkte sich die gesamte Welt, brodelte, als hätte gerade jemand den Stöpsel gezogen.
    Es hat etwas mit dem Mond zu tun, sagen die Leute. Irgendetwas ist mit dem Mond passiert und hat ihn näher an die Erde herangebracht. Früher hat er wahrscheinlich keinen so großen Teil des Himmels eingenommen. Aber gegen Ende der Großen Dunkelheit kam er plötzlich näher. Zwanzig Jahre lang herrschte Nacht, und als die Sonne zurückkam, war der Mond so nah, dass der Ozean durchdrehte.
    Einmal wäre ich fast ertrunken. Ich war gerade dabei, die Ketten für eine Weide an einem Fluss zu verknoten, als ich am Ufer abrutschte. Und egal wie sehr ich auch strampelte, ich sank immer tiefer. Alles wurde still. Mir wäre fast die Lunge geplatzt. Pa hat mich aus dem gelben Schleim rausgezogen, aber danach konnte ich nie wieder ans Wasser gehen. Konnte nicht schwimmen lernen. Ich meine, die Brandung wäre selbst dann Furcht einflößend, wenn man unter Wasser atmen könnte. Aber für mich war es sogar noch schlimmer. Selbst hier oben raste mein Herz so stark, dass ich es an den Rippen spüren konnte.
    Ich winkte Zee zu mir heran. An manchen Tagen konnte man nicht mal bis zum Zaun vorgehen, weil die Gischt zu stark war.
    Aber heute war Zees Glückstag.
    Sie spähte durch die Maschen nach unten, und ihre Augen wurden ebenso groß wie die Wellen. Das Spritzwasser benetzte ihre Wangen, während sie mit offenem Mund auf das schaumige Spektakel starrte, das Auf und Ab der gigantischen Wogen. Fassungslos drehte sie sich zu mir um.
    »Ich glaub das nicht«, rief sie über den Lärm des Wassers hinweg. »Ist es überall so?«
    »Manche sagen, an der Westküste sei es sogar noch schlimmer.«
    Ihr Gesicht war inzwischen klatschnass, was wohl an der fliegenden Gischt lag, aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie außerdem weinte. Ihre Miene verzog sich nicht oder so, aber ihre Lippen waren fest zusammengepresst. Vorsichtig griff ich nach ihrer Hand.
    »Komm«, sagte ich und zog sie zurück zum Wagen.
    *
    Zee wollte noch nicht wieder fahren, und ich hatte es nicht eilig, herauszufinden, was in Frosts Haus gerade los war, also schaltete ich die Innenbeleuchtung ein, und wir ließen uns mit unseren feuchten, salzigen Klamotten in die Sitze fallen.
    »Da kommt man niemals durch«, stellte Zee fest und starrte in die Dunkelheit hinaus, wo eigentlich Sterne funkeln sollten. Ich folgte ihrem Blick.
    »Nö.«
    »Aber wie kommen wir dann weg?«
    »Weg?«
    »Irgendwohin,
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