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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav
Autoren: Hans Fallada
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Schalltrichter. Gewiß, dahin läuft sie in letzter Zeit, aber nur wegen der Musik, wegen dieses neumodischen Apparates – kein Gedanke an Männer, an Küssen …
    Er betrachtet sie nachdenklich, und unter seinem Blick wirft sie sich rasch, wie sie alles tut, auf den Rücken. Sie streckt die Arme, sie stößt einen Laut aus, irgend etwas selig Zufriedenes, nur ein Oh! – aber so schön!
    Dann sieht sie zu ihm hin. »Bist du das, Vater?«
    »Guten Morgen!« sagt er langsam.
    »Guten Morgen, Vater!« Und rasch: »Vater, du, hör mal …«
    »Was ist denn? Du sollst doch noch schlafen!«
    »Keine Angst – ich schlaf gleich wieder ein. Du, Vater …« Sehr geheimnisvoll: »Weißt du auch, wann Erich nach Haus gekommen ist?«
    »Du sollst doch nicht petzen!«
    »Um eins, Vater! Denk dir, um eins!«
    »Pfui, Evchen, du sollst nicht petzen!« sagt er noch einmal. Aber er sagt es nur schwach, denn das, was er eben gehört hat, erregt ihn sehr.
    »Petzen! Wo er mich auch immer verpetzt! Und im Café Koller haben sie erzählt, er hat Geld, Goldstücke, Vater …«
    »Du sollst doch nicht in das Café gehen!«
    »Aber ich esse so gerne Schlagsahne – und hier kriegen wir nie welche!« Sie sieht ihren Vater listig prüfend an, sie merkt sofort, er denkt jetzt nicht an ihre Sünden. »Und jetzt will ich wieder schlafen. Gott, bin ich noch müde …«
    Ja, schlaf!« sagt der Vater mahnend. »Und petze nie wieder. Petzen ist sehr häßlich.«
    Auf dem Flur hört er wieder deutlicher das Klopfen des Schimmels. Es ist schon bald vier, es wird Futterzeit. Aber er geht doch lieber erst in das Zimmer der Söhne.

4

    Drei Betten, drei Schläfer, drei Söhne. Das könnte so etwas wie Reichtum sein – und der Vater hat das auch oft so empfunden. Aber heute nicht – heute nicht. Es ist nicht nur die dunkle Spur des Angsttraums in Hackendahl, es ist nicht nur das angeberische Geschwätz von Eva – Hackendahl steht auf der Schwelle und lauscht.
    Lauscht …
    Hunderte, Tausende von Menschen hat er schlafen hören, laut und leise. Er kennt also dieses rasselnde, schwere, gaumige Atmen, er hat es gehört in den Kasernenstuben, hauptsächlich in den Sonnabend-, in den Sonntagsnächten, nach den Urlaubstagen – aber in dieser Stube, im Zimmer seiner Söhne hat er es noch nicht gehört.
    Jetzt hört er es. Er steht und lauscht, durch den Kopf schießen ihm Evas Worte: Erich ist erst um eins nach Haus gekommen. Aber es braucht ihm keiner zu erklären, was ein betrunkener Schlaf ist, er hört das auch ohne Petzen …
    Er geht hastig auf Erichs Bett zu und bleibt wieder stehen. Jetzt sieht er nur noch den betrunkenen Sohn. Es wäre Anlaß genug, über die Art zu schelten, wie Heinz, der Jüngste, Bubi genannt, seine Kleider weggehängt hat. Oder dem Ältesten, dem vierundzwanzigjährigen Otto, begreiflich zu machen, daß der Vater wohl merkt, der Junge schläft nicht. Er tut nur so, viel zu regungslos liegt er im Bett.
    Aber Hackendahl steht hilflos vor Zorn und Trauer an dem Bett seines Erich, seines heimlichen Lieblings, dieses raschen, frohen, hellen Jungen, klügeres Gegenstück zur Eva … Zorn und Trauer, ach, der Junge tut nicht gut, er ist betrunken … Er ist erst siebzehn, er geht in die Unterprima des Gymnasiums, Liebling seiner Eltern, Liebling der Mitschüler, Liebling der Lehrer – aber er ist betrunken …
    Der Vater steht gedankenverloren da, sein Fuß scharrt mit dem Bettvorleger herum, aber vielleicht ist es etwas anderes, gar kein Bettvorleger?! Jetzt hat er keine Zeit, nachzusehen, er muß in das Gesicht des Sohnes schauen, dieses geliebte Gesicht. Und er versucht, darin zu lesen …
    Aber es ist immer nur erst Dämmern in der Stube. So geht er an das Fenster und schlägt eine Ecke des Vorhangs zurück, damit das schon hellere Licht des Tages voll auf den Schläfer fällt …
    Dabei begegnet sein Blick einem anderen Blick, dem Auge seines ältesten Sohnes Otto, das ihn dunkel und ein wenig trübe anschaut. Zorn steigt in Hackendahl auf, als habe Otto ihn bei etwas Verbotenem ertappt. Er gibt ganz diesem plötzlichen Zorn nach, vor Otto kann man sich gehenlassen, Otto ist weicher Brei, weder Zorn noch Liebe scheinen einen merkbaren Eindruck in ihm zu hinterlassen. Der Vater hebt drohend die Faust, als wolle er ihn schlagen, er zischt im Flüsterton: »Stille biste! Willst du gleich wieder schlafen!«
    Und sofort schließt der Sohn die Augen.
    Einen Augenblick sieht der Vater noch in das blasse, weichliche Gesicht mit dem
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