Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
herauszufordern. In der Ecke hatte Zachary Amy Feldons Röcke über ihren Kopf geworfen und malte ihr Tierkreiszeichen auf die Knie. Einige andere Frauen gingen im Kreis herum. Alle schienen einen fiebrigen Glanz an sich zu haben. Doch das trübe Leuchten des Sturms, das durch die Flügeltür hereinfiel, schien sie zu verspotten.
    Nort war auf zwei Tischen in der Mitte des Raums aufgebahrt worden. Seine Stiefel bildeten ein mystisches V. Sein Mund hing zu einem schlaffen Grinsen offen, aber jemand hatte ihm die Augen zugedrückt und Metallstückchen daraufgelegt. Seine Hände umschlossen einen Halm Teufelsgras und waren auf seiner Brust gefaltet. Er roch wie Gift.
    Der Mann in Schwarz stieß die Kapuze zurück und kam zur Theke. Alice beobachtete ihn und verspürte Bestürzung, verbunden mit dem vertrauten Verlangen, das sich in ihr verbarg. Er hatte kein religiöses Symbol an sich, doch das hatte an sich nichts zu bedeuten.
    »Whiskey«, sagte er. Seine Stimme war sanft und angenehm. »Guten Whiskey.«
    Sie griff unter die Theke und holte eine Flasche Star herauf. Sie hätte ihm den hiesigen Gaumenbeleidiger als ihre beste Marke andrehen können, aber das tat sie nicht. Sie schenkte ein, und der Mann in Schwarz beobachtete sie. Seine Augen waren groß und leuchtend. Die Schatten waren so dicht, daß man ihre Farbe nicht eindeutig feststellen konnte. Ihr Verlangen wuchs. Hinter ihnen ging das Brüllen und Toben ungebrochen weiter. Sheb, der nichtsnutzige Eunuch, spielte von den Soldaten Christi, und jemand hatte Tante Mill zum Singen überredet. Ihre verzerrte und überdrehte Stimme schnitt durch das Murmeln wie eine stumpfe Axt durch Kalbshirn.
    »He, Allie!«
    Sie ging, um zu bedienen, haßte das Schweigen des Fremden, haßte seine farblosen Augen und ihre eigenen rastlosen Lenden. Sie hatte Angst vor ihrem Verlangen. Es war kapriziös und entzog sich ihrer Kontrolle. Es mochte das Signal für die Wechseljahre sein, die wiederum den Anfang ihres Älterwerdens signalisierten – ein Zustand, der in Tull für gewöhnlich so kurz und bitter wie ein Sonnenuntergang im Winter war.
    Sie zapfte Bier, bis das Faß leer war, dann stach sie ein neues an. Sie hatte genügend Verstand, Sheb nicht darum zu bitten; er würde willig wie ein Hund kommen, mehr war er ja auch nicht, und sich entweder die Finger abhacken oder das Bier überall hin verspritzen. Der Blick des Fremden ruhte auf ihr, während sie das alles tat; sie konnte es spüren.
    »Gut besucht«, sagte er, als sie zurückkam. Er hatte seinen Drink nicht angerührt, sondern lediglich zwischen den Handflächen gerollt, um ihn zu wärmen.
    »Totenwache«, sagte sie.
    »Ich habe den Verstorbenen gesehen.«
    »Taugenichtse«, sagte sie voll plötzlichem Haß. »Allesamt Taugenichtse.«
    »Sie freuen sich. Er, ist tot. Sie nicht.«
    »Als er noch lebte, war er das Ziel ihres Spotts. Es ist nicht recht, daß er auch jetzt noch Ziel ihres Spotts ist. Es…« Sie verstummte, weil sie nicht ausdrücken konnte, was es war, oder weshalb es obszön war.
    »Grasesser?«
    »Ja! Was hatte er denn sonst?«
    Ihr Tonfall war vorwurfsvoll, aber er senkte den Blick nicht, und sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. »Tut mir leid. Sind Sie Priester? Dies muß Sie abstoßen?«
    »Bin ich nicht und tut es nicht.« Er kippte den Whiskey sauber hinunter und verzog keine Miene dabei. »Noch einen, bitte.«
    »Zuerst muß ich die Farbe Ihrer Münze sehen. Tut mir leid.«
    »Keine Ursache.«
    Er legte eine große Silbermünze auf die Theke, die an einem Ende dick und am anderen dünn war, und sie sagte das, was sie später wiederholen sollte: »Darauf habe ich kein Wechselgeld.«
    Er schüttelte achtlos den Kopf und sah abwesend zu, wie sie wieder ein schenkte.
    »Sind Sie nur auf der Durchreise?« fragte sie.
    Er antwortete lange nicht, und sie wollte die Frage gerade wiederholen, als er ungeduldig den Kopf schüttelte. »Sprechen Sie nicht von trivialen Dingen. Sie sind hier mit einem Toten.«
    Sie wich zurück, und ihr erster Gedanke war, daß er ihr seine Heiligkeit verschwiegen hatte, um sie auf die Probe zu stellen.
    »Sie haben sich um ihn gekümmert«, sagte er unverblümt. »Stimmt das nicht?«
    »Um wen? Nort?« Sie lachte und heuchelte Verdrossenheit, um ihre Verwirrung zu überspielen. »Ich glaube, Sie sollten besser…«
    »Sie haben ein weiches Herz und ein bißchen Angst«, fuhr er fort, »und er war auf Gras und sah zur Hintertür der Hölle heraus. Und jetzt ist er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher