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Der Duft des Blutes

Titel: Der Duft des Blutes
Autoren: Ulrike Schweikert
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gekleideten Fremden an. Der Vampir ließ sich auf das Bett sinken und legte seinen Zeigefinger an die Lippen. Die roten Augen senkten sich in die weit aufgerissenen blauen Augen des Mädchens. Er legte seinen Arm um den duftenden Kinderkörper und zog ihn an seine Brust.
    „Schlaf, schlaf", hauchte er. Die Augenlider flatterten und sanken herab, der blonde Kopf kuschelte sich in seine Armbeuge. Da, unter der weißen Haut, floss das junge Blut. Der betörende Kinderduft stieg ihm in die Nase. Wie klein und zart, wie weich und warm. Sein Zeigefinger strich über den ihm dargebotenen Hals.
    Ein winziger Schluck nur, ein wenig probieren, drängte eine Stimme in ihm.
    Im Schlafzimmer raschelte ein Federbett, der Hund winselte, nackte Füße tappten über den Flur. Sabines ungekämmter Haarschopf erschien in der Türöffnung. Schlaftrunken musterte sie das schlummernde Kind, trat dann ans Bett, strich Julia über das Haar und zog die Decke bis ans Kinn. Einige Augenblicke sah sie auf ihre Tochter hinunter, fröstelnd die Arme um den Leib geschlungen.
    „Es ist kalt hier", murmelte sie und trat ans Fenster, um die Heizung höher zu drehen. Die dunkle Gestalt, die in der Ecke bei der Tür mit den Schatten verschmolz, bemerkte sie nicht. Sie streichelte noch einmal das schlafende Kind und schritt dann durch den dunklen Gang ins Badezimmer. Der Vampir hörte das Wasser rauschen. Regungslos wartete er, bis in der Wohnung wieder Ruhe eingekehrt war.
    Erfüllt von freudiger Erregung, trat er ins dunkle Schlafzimmer. Er wischte ein paar achtlos auf einen Stuhl geworfene Kleidungsstücke auf den Boden, schob den Stuhl vor das Bett und setzte sich, die Arme über der Rückenlehne verschränkt, das Kinn aufgestützt, um sie in Ruhe zu betrachten.
    Sabine lag auf dem Rücken, den nackten Arm über dem Kopf abgewinkelt, ihre Atemzüge gingen regelmäßig. Das Deckbett ließ die mit dunkelblau glänzendem Satin bedeckten Schultern erahnen. Die oberen beiden Knöpfe des hemdartigen Nachtgewandes waren geöffnet, der Kragen verrutscht. Wie köstlich pulsierten ihre Adern, wie berauschend stieg ihm ihr Duft in die Nase. Warum warten? Welche Freude lag im Verzicht? Schrie nicht alles in ihm nach der Erfüllung? Sie seufzte im Schlaf und zog sich fröstelnd die Decke über die Schultern.
    Widerstrebend erhob sich der Vampir. Draußen eilten die ersten Menschen ihren Arbeitsplätzen zu. Immer mehr Scheinwerfer suchten sich ihren Weg durch die zögerlich erwachende Stadt. Noch einmal nahm er ihren Geruch in sich auf, dann eilte er hinaus und machte sich auf den Weg nach Blankenese. Es drängte ihn, sich die frische Kühle des Morgens um den Kopf wehen zu lassen, er sehnte sich nach dem weiten Blick über die Elbe, wenn das Schwarz der Nacht langsam verblasst und die Nebel über dem Wasser sich röten. Er würde ihren Duft in seiner Erinnerung mit sich nehmen und in seinem prächtigen Gemach im Keller seiner Villa, hoch oben auf dem Geestrücken, den Tag über in Gedanken bei Sabine weilen.
    „Lass dir doch helfen, mein Schatz, wir müssen gehen!", versuchte Sabine Berner ihre Tochter anzutreiben, die den fünften Versuch startete, den Reißverschluss ihres Anoraks zuzubekommen, doch Julia wehrte trotzig ab. Da klingelte es stürmisch an der Tür. Leila kläffte erfreut, als Sabine ein wenig genervt die Tür aufriss.
    „Moin!"
    Draußen stand ihr Nachbar, ungekämmt mit Dreitagebart und rot geränderten Augen, und streckte ihr freudestrahlend einen Stapel Papier entgegen.
    „Ich habe die ganze Nacht gearbeitet. Ich war ja so was von kreativ! Ganze zwei Kapitel habe ich geschafft!"
    „Das ist toll, Lars", sagte Sabine, während sie in ihre Jacke schlüpfte und versuchte, ein wenig Begeisterung in ihre Stimme zu mischen.
    „Du musst schon fort?", fragte Lars bestürzt und sah die Nachbarin mit einem ähnlichen Blick an, wie ihn Leila einzusetzen pflegte, wenn sie Kekse erbetteln wollte. „Ich dachte, wir könnten bei einer Tasse Kaffee die Szenen in Ruhe besprechen."
    „Nee, Lars, das geht wirklich nicht, ich muss Julia zu einer Freundin bringen und dann ins Büro." Sie schob Julia in ihrem offenen Anorak zur Tür.
    „Wann kommst du denn zurück? Können wir uns heute Abend zusammensetzen? Soll ich dir das Manuskript schon mal mitgeben, damit du es vorab durchlesen kannst?"
    „Du, dazu habe ich heute wirklich keine Zeit." Plötzlich kam ihr eine Idee. „Aber weißt du was, wenn du heute wieder joggen gehst, dann nimm doch Leila mit."
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