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Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift

Titel: Der Dreitagemann - Der Dreitagemann - The Pursuit of Alice Thrift
Autoren: Elinor Lipman
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bekommen würde, seinen Humor, seine Unerschütterlichkeit oder diese unnachahmliche Art, in das Zimmer eines Patienten zu gehen und ihm mit genau der richtigen Dosis Leichtigkeit über seine Schmerzen, seine Übelkeit oder seine Angst vor der Spritze hinwegzuhelfen.
    »Das ist dir alles aufgefallen?«
    »Ich höre es immer wieder. Jeder weiß es. Ich glaube, dass einige von den Kinderärzten, die hier gerade ihr Praktikum machen, sogar nachplappern, was sie von dir gehört haben. Und deine Patienten, na, die beten dich doch an. Babys und Kleinkinder, Mädchen genauso wie Jungen. Von ihren Müttern ganz zu schweigen.«
    Habe ich schon erwähnt, dass Leo gut aussieht? Vielleicht nicht unbedingt, wenn man ihn Zug für Zug analysiert, und fettige Haut hat er stellenweise auch. Aber alles in allem ist er eine gelungene Komposition, mit seinen blonden Locken, den schön geschwungenen Lippen und den hellblauen Augen, die immer aussehen, als habe er gerade herzlich gelacht. Als Teenager war er wahrscheinlich ziemlich linkisch, und Aknenarben haben Spuren in seinem roten Gesicht hinterlassen, aber insgesamt ist er eine äußerst einnehmende Kombination aus Elfengesicht und großem, breitschultrigem Männerkörper.
    Da erzählte mir Leo, sein verstorbener Vater sei der Meinung gewesen, dass er genau die Gaben vergeude, auf die ich anspielte, ein flottes Mundwerk und die Fähigkeit, ein Zimmer zu betreten und - man verzeihe ihm die Prahlerei - sich Freunde zu machen und Menschen zu beeinflussen. »Und du weißt, was das für einen Bostoner Vater mit irischen Wurzeln heißt?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ab in den Senat oder ins Repräsentantenhaus, und mit einem Auge immer auf den Gouverneursposten geschielt.«
    »Würdest du das gerne tun?«
    »Nicht im Traum. Mein Vater brachte es nicht über sich, den Leuten zu sagen, dass sein Sohn Krankenpfleger sei. Er sagte immer »Ordonnanz«, das klang ihm mehr nach Mann. Aber das habe ich ihm abgewöhnt. Jetzt sagt er ›Leo hat seine Ausbildung im medizinischen Korps der Armee gemacht und arbeitet in einem Krankenhaus in Harvard. Nein, verheiratet ist er nicht, aber er geht jeden Abend mit einer anderen Krankenschwester aus.‹«
    »Es ist gar nicht so sehr dein Mundwerk. Es ist mehr. Es ist deine Anteilnahme und deine Gabe, Witze zu machen.«
    Leo lächelte. »Was für ein schönes Kompliment. Danke. Anteilnahme - wie das klingt!«
    »Vielleicht färbt ein bisschen was davon ja auch auf mich ab.«
    Darauf sagte er - ein weiterer Beweis für seine diplomatischen Fähigkeiten: »Dafür hast du andere Stärken.«
    »Nenn mir eine.«
    »Köpfchen, zum Beispiel. Stell dir mal ein Krankenhaus vor, in dem nur lächelnde Volontäre, fröhliche Krankenschwestern und Klassenclowns wie ich arbeiten. So schnell kannst du gar nicht schauen, wie das seine staatliche Zulassung verlieren würde.«
    »Das ist zwar ein lächerliches Beispiel, aber trotzdem danke.«
    »Worüber machst du dir eigentlich wirklich Gedanken? Über dein Privatleben oder deinen Beruf.«
    »Über den Beruf. Ich weiß nicht, ob mein Vertrag um ein Jahr verlängert wird. Wenn nicht, was mache ich dann? Wieder ganz von vorn anfangen. Aber wo? Wer nimmt schon einen Arzt im Praktikum, dessen Vertrag nicht verlängert wurde?«
    »Kommt so was vor?«
    »Ständig. Das ist ein Pyramidensystem. Sie fangen mit sieben an, und jedes Jahr kommt einer weg.«
    Leo seufzte. Selbst er konnte meine Aussichten nicht schönreden.
    Ich holte die Kaffeekanne. »Angenommen, ich hätte vorhin ›über mein Privatleben‹ geantwortet, was fiele dir dazu ein? Was gibt es für Fettnäpfchen, die ich im zivilen Leben grundsätzlich nicht auslasse?«
    Leo nahm den Zuckerstreuer und ließ mehrere Teelöffel voll in seine Tasse rieseln.
    »Sei ehrlich.«
    Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her, kniff ein Auge zu. »Wenn du mir das Messer ansetzt, dann würde ich vielleicht sagen, dass du mich manchmal an meine Schwägerin Sheila erinnerst.«
    Leo hatte zwölf Geschwister, es gab also genügend Familienmitglieder, die er als Musterexemplare oder schwarze Schafe anführen konnte. »Ich muss aber gleich dazu sagen, dass Sheila wahrscheinlich die intelligenteste von all meinen Schwägerinnen ist.«
    »Aber?«
    »Aber sie wäre nicht meine Idealfrau, wenn ich damit liebäugeln würde, in die Residenz des Gouverneurs von Massachusetts einzuziehen.«
    »Massachusetts hat gar keine Gouverneursresidenz.«
    Leo schloss die Augen und stöhnte, als wäre er der
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