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Der Dreissigjaehrige Krieg

Der Dreissigjaehrige Krieg

Titel: Der Dreissigjaehrige Krieg
Autoren: Dietmar Pieper Johannes Saltzwedel
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beiderseits vertreten. 1643/44 beginnen die Gespräche, aber noch kommen sie kaum in Gang, weil der fortwährende Krieg alles überlagert. Außerdem ist ungeklärt, ob die deutschen Reichsstände an den Verhandlungen teilnehmen dürfen: Der Kaiser lehnt das ab, mit Berufung auf den Prager Frieden.
    SPIEGEL: Der hatte doch nur noch Papierwert, oder?
    SCHMIDT: De jure galt er weiter. Es gab nun jedoch sogar manches Scharmützel von Reichsständen untereinander, zum Beispiel den Hessenkrieg. Aber erst als im März 1645 die Schweden bei Jankau Ferdinands Heer geschlagen hatten und im August bei Alerheim die Bayern von den Franzosen besiegt worden waren, lenkte der Kaiser ein und stimmte zu, dass die Reichsstände offiziell mitreden durften.
    SPIEGEL: Wie kamen die Verhandlungen wirklich in Gang?
    SCHMIDT: Durch das Eintreffen des kaiserlichen Gesandten Maximilian Graf Trauttmansdorff. Dieser geschickte Diplomat hat alle Interessen ausgelotet und immer wieder vermittelt. Das war wohl die Wende.
    SPIEGEL: Jahrelange, extrem komplizierte Gespräche brachten dann tatsächlich Frieden. Mussten aber nicht sehr viele der Parteien zugeben: Vorangebracht hatte der Krieg kaum etwas, alle hatten sich schrecklich verausgabt, außer ungeheuren Spesen war nichts gewesen?
    SCHMIDT: Welchen Vorteil soll ein Krieg denn haben? Als Historiker kann ich keinen erkennen. Sozialgeschichtlich sehen wir erst einmal massenhaft Leid und Verwüstung – allerdings wurde die alte ständische Ordnung vom Krieg so gelockert, dass Aufsteiger zwei Generationen lang Chancen hatten wie noch nie. Modernisierungen sind sonst tatsächlich kaum zu erkennen, wenn man einmal von Schwedens Erzbergbau und Metallindustrie absieht. Wirtschaftlich führte die Entvölkerung in Deutschland zu einer Depression. Aber einen großen Vorteil gab es doch.
    SPIEGEL: Sie machen es spannend.
    SCHMIDT: Ich meine die 1648 ausgehandelte Reichsverfassung, die über 150 Jahre gehalten hat, länger als alle späteren. Bis in die Zeit Schillers, der sie nach wie vor verehrt, hat sich diese Reichskonzeption bewährt; erst im 19. Jahrhundert wurde sie verächtlich gemacht, weil es keine Machtstaatsverfassung war. Dabei ähnelte sie durchaus dem, was man heute das Mehrebenensystem des vereinigten Europa nennt, wo sich die Gewichte gegenseitig austarieren, wo Konsens hergestellt werden muss und oft auch wird.
    SPIEGEL: Hat der Dreißigjährige Krieg aber nicht vor allem ein gewaltiges Trauma hinterlassen? Das Grauen wirkte jahrhundertelang nach, wurde sprichwörtlich und selbst von zwei Weltkriegen nicht aus den Köpfen verdrängt. Wie erklären Sie das?
    SCHMIDT: Gewiss, etliche Darstellungen von Grausamkeit und Elend haben ein Schreckensbild verbreitet, bis hin zum Kannibalismus – wenngleich ich eher zweifle, ob es das wirklich gegeben hat. Aber zum Trauma ist der Krieg doch erst im 19. Jahrhundert stilisiert worden, als man ein einiges, zentralistisch-starkes und wehrhaftes Reich propagierte.
    SPIEGEL: In den Köpfen der Untertanen des 17. Jahrhunderts hat der Krieg also wenig verändert?
    SCHMIDT: Über Untertanen ließe sich viel sagen, aber der Dreißigjährige Krieg stellt in diesem Sinn keine Epochenschwelle dar. Man sollte mehr die Historiker des 18. Jahrhunderts lesen, oder auch Goethe: In »Dichtung und Wahrheit« finden Sie eine Hommage an das Alte Reich. Wer es noch miterlebt hatte, trauerte ihm nach und sah es positiv im Vergleich zur Machtstaatspolitik in Frankreich oder Preußen. Erst gegen 1840 verschwindet diese Haltung, und Staat beginnt zu sein, was wir gewöhnlich darunter verstehen: Nationalstaat – obwohl dessen Regelungskompetenz heute stark relativiert ist: Wie viele Adern Sie in einer Steckdose finden, entscheidet Brüssel, nicht Berlin.
    SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, der Blick auf die Komplexität des Alten Reiches – mitsamt den Wirren des Krieges, aus dem es hervorging – könnte unser politisches Bewusstsein für die Zukunft Europas schärfen?
    SCHMIDT: Ja, vielleicht war der Nationalstaat der Irrweg der Geschichte. Momentan deutet manches darauf hin.
    SPIEGEL: Herr Professor Schmidt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

TEIL I
    STURZ IN DIE KATASTROPHE

EIN TIEFER FALL
    Mit dem Prager Fenstersturz wollten die protestantischen Böhmen
ein Zeichen setzen. Habsburgs Gegenschlag riss Europa
für Jahrzehnte in einen Strudel der Gewalt.
    Von
    Sebastian Borger
    D er Kanzleisaal wirkt nicht viel größer als ein modernes Wohnzimmer, die Fenster sind
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