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Der Domino-Killer

Der Domino-Killer

Titel: Der Domino-Killer
Autoren: Kate Pepper
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Grund, die darüber Auskunft gaben, wie man ihn beim New Yorker Police Department erreichte.
    «Danke.» Ich steckte die Karte in meine Hosentasche. «Ich brauche nur ein bisschen Zeit zum Nachdenken, dann melde ich mich.»
    Nach kurzem Schweigen fragte er: «Müssen wir uns Sorgen um Sie machen?»
    «Müssen. Wollen.» Ich lächelte, er allerdings nicht. Er hatte recht, es war nicht komisch. Ich wusste, worauf er anspielte: Vor neun Monaten hatte ich versucht, mir das Leben zu nehmen. «Nein, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Darüber bin ich hinweg.»
    Am Himmel zog eine Wolke vorüber, und die Sonne schien Staples hell ins Gesicht, offenbarte die Linien, die wie eine Landkarte die hohen Wangenknochen überzogen, und ein paar graue Haare an den Schläfen. Ich hatte ihn auf ungefähr dreißig geschätzt, aber er musste tatsächlich zehn Jahre älter sein. Er nickte und wandte sich zum Wagen um, schaute dann noch einmal zurück.
    «Ich hätte Sie übrigens kaum erkannt, Sie sehen Ihrem Foto nicht besonders ähnlich.»
    Nein, tat ich nicht. Auf dem Bild, das man von mir für die Personalakte gemacht hatte, war mein Haar rot und schulterlang, und ich hatte breit gelächelt. Der Fotograf hatte Witze gerissen an jenem Tag, aber vielleicht machte er das immer so, damit die Bilder nicht wirkten wie aus der Verbrecherkartei.
    «Das ist fünf Jahre alt.»
    Er nickte verständnisvoll. «Eine ganze Ewigkeit.»
    «Danke, Detective. Ihre Nummer habe ich ja.»
    Er fuhr davon, und ich schloss das schmiedeeiserne Tor auf, das bei den meisten Häusern hier vor dem Eingang im Erdgeschoss angebracht war, etwas weiter dahinter kam dann die eigentliche Tür. Im Zwischenraum befand sich in der Wand eine kleine Abstellkammer, in die ich alles hineinwarf, was ich nicht mit ins Haus nehmen wollte, zum Beispiel einen Sack Steinsalz, den ich kurz nach meinem Einzug gekauft hatte, um im Winter den vereisten Weg zum Haus zu streuen, und die schmutzigen Gartengeräte, die ich darin nun verstaute. Die Innentür hatte in der oberen Hälfte ein Glasfenster und ein lächerliches Schloss, das ich meist offen ließ. Jetzt drehte ich den Schlüssel herum und stand in meinem Flur. Selbst das beste Schloss der Welt konnte JPP nicht aufhalten, wenn er hineinwollte, das wusste ich.
    Ich hatte mir Mühe gegeben, meine neue Wohnung so gemütlich wie möglich einzurichten, eher wie das Apartment, in dem ich damals wohnte, bevor Jackson und ich gemeinsam das Haus gekauft und unser zusammengewürfeltes Mobiliar entsorgt hatten, um uns, dem neuen Paarstatus gemäß, erwachsener und stilvoller einzurichten. Ich hatte unser Haus möbliert verkauft und hier wieder alles neu angeschafft, hatte Sachen vom Straßensperrmüll geholt oder billige Möbel aus Anzeigenblättern herausgesucht. Ich kaufte nur das, was mir gefiel und was ich wollte . Gemäß einer Anweisung von Joyce. Keine Vernunftentscheidungen oder sonstigen Vorgaben. Mit einer Ausnahme: Sie hatte mir explizit geraten, in der Nähe der Eingangstür einen Spiegel anzubringen, damit ich mich beim Kommen und Gehen ansehen konnte. Dadurch sollte ich rechtzeitig bemerken, wenn ich wieder in «Zombietrance» verfiel. Über einem Schuhregal hängte ich also einen riesigen Spiegel mit unechtem Goldrahmen auf. Jede seiner vier Ecken zierte ein pausbäckiger Engel, der mit einem Pfeil auf das Spiegelbild zielte, die sollten wohl dafür sorgen, dass man sich schön fühlte, wenn man hineinsah wie ein Günstling der Liebe.
    Heute jedoch fühlte ich bei meinem Anblick gar nichts. Was ich empfand, war eher eine dumpfe Gefühlsstarre, an die ich mich seit meinem Selbstmordversuch gewöhnt hatte. Mehr brachte ich nicht zustande, und es war immerhin besser als Verzweiflung. Ich betrachtete mich, das lange Haar, das ich auf Joyce’ Drängen blond gefärbt hatte; in den Wochen nach dem Mord an meiner Familie war mein Haar für immer ergraut, und Joyce sagte, dass sie schockiert gewesen sei, wie alt ich ausgesehen hatte, als sie mich Monate später traf. Sie entschied, dass es mir nicht guttäte, «wie ein Gespenst herumzulaufen». Nachdem ich mir die Haare gefärbt hatte, kam ich mir ohne ihren Naturton vor wie eine leere Leinwand, als ob ich auch jede andere sein könnte, überall sonst auf der Welt, ohne meine eigenen Erinnerungen. Ich musterte mich. Groß. Dünn. Flach. Sehnige Glieder wie die eines Jungen. Der Gesichtsausdruck eine leere Wand zwischen Erinnerung und Gefühl. Ich spürte keine Angst, ich hatte nichts
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