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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
Autoren: Bastian Sick
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Beitrag griff eine sprachliche Eigenheit auf, die Außenstehende immer wieder gleichermaßen fasziniert und fassungslos macht. Es ist die einzigartige Befähigung des Deutschen, Wörter zu verbinden und aus ihnen lange und immer längere Wortketten zu bilden.
    Für die meisten Nicht-Deutsch-Sprechenden sind bereits Wörter wie Fußgängerzone, Sommerschlussverkauf, Geschirrspülautomat, Haushaltsreinigungsmittel und Staubsaugerersatzbeutel der schiere Wahnsinn. Darüber können wir freilich nur müde lächeln, wohlwissend, dass dies lediglich die Spitze eines kolossalen Eisbergs ist. Denn wer schon die einfache »Fußgängerzone« für außergewöhnlich hält, was mag der erst von der Fußgängerzonenneugestaltung halten?

    Der Autor des »Guardian«-Artikels nannte unter anderem das Wort »Geschwindigkeitsbeschränkung«, das uns Deutschen wie selbstverständlich über die Lippen geht. Dass dies ein besonders langes Wort sein soll, kommt uns nicht einmal so vor. Die beeindruckende Länge wird erst im Vergleich offenbar: Die englische Übersetzung »speed limit« kommt mit einem Drittel der Buchstabenmenge aus. Es gibt im Deutschen zwar eine Geschwindigkeitsbegrenzung, aber keine Wortüberlängenhöchstzulässigkeitsbeschränkung.
    In einer Sendung des Automagazins »Top Gear« auf dem britischen Fernsehsender BBC sorgte ein Gast für große Heiterkeit, indem er das Wort »Doppelkupplungsgetriebe« buchstabierte. Es schien einfach nicht aufhören zu wollen, die Zuschauer bogen sich vor Lachen. Die Heiterkeit wirkt ansteckend, als Deutscher lacht man unwillkürlich mit. Im Spiegel anderer Kulturen wird man sich des Besonderen und Kuriosen der eigenen Sprache überhaupt erst bewusst.
    Allein die Möglichkeit, Zahlen auszuschreiben, kann deutsche Wörter über jeden Zeilenrand hinauskatapultieren. In Buchstaben ausgedrückt, wird die übersichtliche Zahl 738 629 zum unüberschaubaren Cluster: siebenhundertachtunddreißigtausendsechs
hundertneunundzwanzig.
    Auf der Suche nach besonders langen Wortzusammensetzungen gelangt man unweigerlich zur schönen blauen Donau. Denn die meisten Beiträge zum Thema »Das längste deutsche Wort« beginnen mit dem bereits legendären Donaudampfschifffahrtskapitän, der sich wahlweise mit Kajütenschlüsseln, Lebensversicherungspolicen, Ruhestandsgeldern oder Witwenrentenbezügen verbinden darf. Angeblich soll es eine mit »Donaudampfschifffahrt« beginnende Zusammensetzung sogar mal zu einem Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft haben. Das insgesamt 79 Buchstaben zählende Wortungetüm wirkt allerdings so künstlich, dass zu Recht bezweifelt wird, ob es je ernsthaft existiert hat. Denn zum Spaße ausdenken kann man sich vieles. Da sind 79 Buchstaben noch längst nicht das Ende. Nehmen wir nur mal die Unterhaltungselektronikeinzelhandelsfachverkäufer
schulungswochenendseminarteilnehmerliste, die kommt locker auf 89 Buchstaben. Schon ist ein Weltrekord gebrochen!
    Der Fantasie sind schließlich keine Grenzen gesetzt. Man kann sich Zusammensetzungen ausdenken wie Weihnachtskrippenfigurenmindestbestellmenge, Ostereierproduktionsüberschussverwertungsregelung und Ellenbogengesellschaftsvertragskündigungsgrundlage. Die sind zweifellos amüsant, doch dürften sie kaum zur praktischen Anwendung gelangen.
    Interessanter sind jene Wörter, die es auch in Wirklichkeit gibt. Wortzusammensetzungen, die in ernst gemeinten Publikationen auftauchen, in amtlichen Broschüren oder sogar auf Schildern im öffentlichen Raum. Gerade bei Schildern ist die Herausforderung eine besondere, denn jeder Buchstabe beansprucht Platz, und Platz ist nicht immer ausreichend vorhanden und kostet Geld.
    Als ein schönes Beispiel führte der »Guardian«-Artikel ein deutsches Geschäft an, über dem in großen Buchstaben das Wort »Fußbodenschleifmaschinenverleih« steht. Der Autor benötigte 13 Wörter, um auf Englisch zu erklären, was das sei.
    Vor einiger Zeit entdeckte ich im Hamburger Hafen ein Warnschild, auf dem die Worte »Lebensgefahr«, »Abstand halten« und »Elektrofischscheuchanlage« standen. Das E-Wort war nicht nur bemerkenswert lang, sondern obendrein auch noch bemerkenswert mysteriös. Ich hatte noch nie zuvor von einer Scheuchanlage gehört und erst recht nicht von Elektrofischen. Wie mögen die wohl aussehen? Und was passiert mit ihnen in dieser Anlage? Für mich hörte sich das nach einer sadistischen Tierversuchseinrichtung an. (Tatsächlich soll eine solche Anlage Fische schützen,
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