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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
Autoren: Bastian Sick
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großem Appetit zu fressen.
    »Komisch«, wundert sich Werner, »bei mir hat er sich nich’
    gerührt. Vielleicht hört er nur auf Frauen?«
    Was Werner nicht weiß: Die alte Frau Schlötzer hat ihrem
    Tuffy nicht nur feine Hundemanieren beigebracht, sondern
    ihn auch in tadellosem Deutsch erzogen. Daher reagiert Tuf-
    fy nur auf den Befehl »Friss!« und nicht auf die umgangs-
    sprachliche Form »Fress!«.

    So wie Tuffy geht es auch vielen Menschen. Besonders emp-
    findsame Schüler stellen sich im Sportunterricht gerne mal
    taub, wenn ihnen beim Ballsport von einem frei stehenden
    Mitschüler zugerufen wird: »He, werf zu mir!« Das Ignorie-
    ren der Aufforderung mag zwar unsportlich sein, aber nicht
    unverständlich.
    Wer sich anmaßt, Befehle zu erteilen, sollte zunächst ein-
    mal die richtige Befehlsform beherrschen. Imperativ kommt
    von Imperium, nicht von Imperitia*. Und mit dem Wort
    »befehlen« geht es selbst schon los: »Befehle nie, was du
    nicht selbst befolgen würdest« − über den Sinn dieses Mottos
    kann man streiten, nicht aber über seine Grammatik; denn
    »Befiehl!« muss es heißen.
    Und wer nun fragt, »Inwiefern betrifft mich das? Ich habe
    keinen Hund, der schlauer ist als ich, und zur Schule und
    zum Bund gehe ich schon lange nicht mehr«, der sei nur auf
    das Internet verwiesen und auf die vielen Gebrauchsanlei-
    tungen, die man im Laufe eines Lebens so studiert. Darin
    findet man nämlich immer wieder Sätze wie diesen: »Bitte
    lese diese Anleitung genau durch, bevor du die Software in-
    stallierst.«
    Oder wie diesen: »Nehme zunächst das Hinterrad aus dem
    Rahmen und löse den Schnellspanner.« Der Urheber hat
    vermutlich zu viele Kochrezepte gelesen, die traditionell mit
    »Man nehme ...«beginnen. Ganz zu schweigen davon, dass
    man für gewöhnlich erst den Schnellspanner lösen muss,
    bevor man das Hinterrad herausnehmen kann. Der Imperativ
    der zweiten Person Singular von »nehmen« lautet indes
    »Nimm«, das weiß jeder, der sich schon mal von der
    Werbung aufgefordert sah, gleich zwei Bonbons auf einmal
    zu nehmen. Wie man sich »erfolgreich, richtig bewerben«
    * imperium (lat.) = Befehl, Herrschaft, Kommando, Reich
    imperitia (lat.) = Unwissenheit, Unerfahrenheit

    kann, das weiß angeblich eine Homepage mit dem Titel
    www.bewerbe.dich.de. Die Internetadresse www.bewirb-
    dich.de ist wundersamerweise noch zu haben.
    Zwar ist es richtig, dass der Imperativ der zweiten Person
    Singular meistens regelmäßig gebildet wird, nämlich genau-
    so wie der Indikativ der ersten Person Singular im Präsens,
    aber eben nicht immer. Es gibt eine Reihe von Ausnahmen,
    eine Hand voll unregelmäßiger Verben, bei denen die Be-
    fehlsform ihren Stammlaut verändert: Da wird das »e« zum
    »i«, und an den Wortstamm kann dann auch kein -e mehr
    angehängt werden. Bruce-Willis-Fans wissen, dass es»Stirb
    langsam« heißt, und nicht etwa »Sterbe langsam«.
    Wenn der Spielleiter der Comedy-Improvisationssendung
    »Schillerstraße « einer Akteurin die Anweisung gibt:»Sprech
    Schwäbisch!«, möchte man ihm selbst einflüstern: »Sprich
    Hochdeutsch!«Und wer bei einem Besuch im nachbarlichen
    Kleingarten auf des stolzen Besitzers Ausruf »Seh mal hier!«
    anfängt, Petersilie oder Rasen auszusäen, der hat zumindest
    akustisch die richtige Konsequenz aus der grammatisch in-
    suffizienten Sentenz gezogen.
    »Reg dich nicht auf, ess erst mal was«, mag ein gut ge-
    meinter Rat sein, grammatisch aber unausgereift. Richtig ist
    selbstverständlich »iss erst mal was«. Doch offenbar haben
    viel zu viele Mütter viel zu vielen Kindern viel zu oft den Be-
    fehl »Hak den Mund und ess jetzt!« erteilt, denn die ess/iss-
    Verwirrung im deutschen Sprachraum ist beklemmend.
    Im Internet ist sie sogar messbar, wenn man nämlich die
    Worte »mess mal« in eine Suchmaschine eingibt. Dort stößt
    man auf unzählige Foren, in denen Tausende von Internet-
    nutzern sich gegenseitig mit Rat und nützlichen Tipps für
    Probleme aller Art versorgen: Wie oft muss man ein Aqua-
    rium reinigen? Wie schließt man Zusatzgeräte an seinen
    Computer an? »Lass das Aqua mal in Ruhe einlaufen und
    mess mal die Entwicklung der Wasserwerte in den ersten

    sechs Wochen«, schreibt ein freundlicher Ratgeber. Ein an-
    derer in einem anderen Forum empfiehlt: »Wenn sich nichts
    tut, mess mal mit einem Multimeter nach, ob die Kontakte in
    Ordnung sind.«
    »Helf gefälligst der Mutti beim Kistenschleppen!«, ruft der
    Papa
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