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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt
Autoren: Argirov Valentin
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kreideweiß aus. Tauben machten in der Nähe kehrt – es klang wie ein Peitschenschlag. Der Krankenhauspark wirkte still und melancholisch.
    Im Zimmer war es frisch, er fror. Er schenkte sich einen Kognak ein und dachte, daß es keinen Sinn hätte, zurück nach Hause zu fahren. Der Tag war angebrochen.
    Als er unter der Dusche stand, fiel ihm ein, daß sein Wagen noch immer vor dem Eingang stand. Dann dachte er an Elisabeths Schmuck. Er glaubte nicht an einen Diebstahl, die Schwestern sollten zunächst überall nachschauen, bevor man die Polizei verständigte. Man müßte behutsam vorgehen, um die Presse nicht zu alarmieren. Unzusammenhängend dachte Bertram an Malvina, er wollte sie nach der Visite auf der allgemeinen Station anrufen und ihr von Elisabeth berichten. Dann hatte er noch eine Vorlesung zu halten, bevor es mit der Sprechstunde weiterging. Seine Sekretärin müßte sich um das Begräbnis kümmern.

4
    Erst bei seiner Vorlesung im überfüllten Auditorium – Thema: Frühkrebs des Magens – fiel ihm ein, daß er Malvina nicht angerufen hatte. Sein Entschluß, mit ihr über Elisabeth zu sprechen, schwankte erneut. Wollte er ein Begräbnis im Sinne von Malvinas pompösen Feiern haben? Elisabeth hätte sich ein stilles Begräbnis gewünscht, mit Blumen und ein paar alten Freunden, ihm selbst und Stephan Thimm, dem Pathologen. Jetzt hätte Karen hergehört, hinter den Sarg ihrer Mutter. Er stellte fest, daß er an diesem Morgen wiederholt an Karen dachte, was seit Jahren nicht mehr vorgekommen war.
    Immer noch mit seinen Gedanken beschäftigt, wandte Bertram dem Auditorium sein angegriffenes Gesicht zu und sagte im Plauderton: »Wenn Ihnen der Nachweis eines Frühkarzinoms bei der ersten Magenspiegelung nicht gelingen sollte, so ist die Verdachtsdiagnose schon lebensrettend.« Bertram hatte die Angewohnheit, während seiner Vorlesungen umherzugehen. Auch jetzt verließ er sein Rednerpult, ging langsam auf die erste Reihe der Sitzenden zu und fuhr fort: »Übrigens ist das die einzige Krebserkrankung, bei der die Zeit zwischen Beobachtung und endgültiger Diagnosestellung fast immer ausreicht.«
    Er war ein guter Redner, der die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer fesselte. Er sprach weiter, entwarf das Bild der Rettung eines Kranken; seine Stimme verlor ihre Gleichmäßigkeit und wurde leidenschaftlicher. Er lächelte eine brünette Studentin in der ersten Reihe an und ging langsamen Schrittes zu seinem Pult zurück.
    Elisabeth sollte ein stilles Begräbnis haben. Er, Stephan Thimm und Malvina … vielleicht gab's noch jemand, den Elisabeth gern dabeigehabt hätte. In der letzten Zeit wußte er wenig von ihrem Leben. Für den Gottesdienst würde er den Prälaten Clausewitz bemühen, er würde das vollkommene Gefühl eines würdigen Abschieds vermitteln.
    Eine leichte Unruhe, die im Auditorium entstand, erinnerte Bertram daran, daß seine Stunde zu Ende war. Gefolgt von seinem Vorlesungsassistenten verließ er den Saal.

5
    Inzwischen sammelten sich bei seiner Sekretärin schriftliche Erklärungen von Schwestern der Privatstation, die bezeugten, den Schmuck der Gräfin am Tage ihres Ablebens bei ihr gesehen zu haben. Es lag eine Anfrage vom Kultusminister Schmidt vor wegen der Untersuchung seiner einundzwanzigjährigen übergewichtigen Tochter und ein Anruf von Professor Thimm, er würde Bertram gleich nach der Vorlesung in der Villa erwarten. Die Villa nannte man die Prosektur, wo die Leichenschau der verstorbenen Patienten stattfand. Als er einen Schluck Kaffee im Stehen trank, dachte Bertram: Stephan hat Elisabeth seziert. Er ließ einem seiner Oberärzte ausrichten, er möge die Visite auf der Privatstation übernehmen, wusch sich die Hände und begab sich in die Villa.

6
    Bertram und der Chef der Pathologie, Professor Thimm, waren Freunde. Sie hatten gemeinsam eine Reihe wissenschaftlicher Werke veröffentlicht und galten früher, als Karen von Kerckhoff noch lebte, und bevor Bertram die Tochter seines Chefs, Malvina Auerbach, heiratete, als unzertrennlich. Einem Gerücht zufolge brachte Malvina Thimm keine übermäßige Sympathie entgegen. Seitdem sah man die Professoren Thimm und Bertram seltener zusammen.
    »Es ist wegen Elisabeth«, sagte Thimm, als Bertram im Sektionssaal erschien. Er fuchtelte mit einer langen anatomischen Pinzette herum. »Sie ist an einer Hirnmassenblutung gestorben. Überrascht dich das?« Er hatte Elisabeths Schädel geöffnet und ihr Hirn lag in gleichmäßige Schnitte
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