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Der Bronzehändler

Der Bronzehändler

Titel: Der Bronzehändler
Autoren: Hanns Kneifel
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wachsam, aber fürchten uns nicht. Ein unguter Zustand, der uns die Freude am Handeln und Segeln vergällt.«
    »Ich kann dich verstehen. Und wie sieht es in deinem Herzen aus?«
    »Nicht viel anders. Niemand wartet auf mich, weder in Kefti noch im Hapiland. Es ist, als hätte sich die Hälfte der Welt verdunkelt, als würden mir die Dinge entgleiten, seit Jehou von Bord ging; ganz bestimmt seit dem Überfall.«
    »Trink aus, Kapitän.« Merire hob die Schultern und reckte den Rücken gerade. »Die ärgste Hitze ist vorbei. Wir werden im Schatten am Kanal wandern. Ich sage dir, was ich von Boten, Briefen und Berichten weiß, und heute kannst du ruhig schlafen. Morgen werden wir miteinander vor Ptah, Sachmet und Month stehen, vor Toth und Imhotep.« Sein Blick wurde starr; seine Stimme war sicher und von der Inbrunst der Gläubigkeit durchdrungen. »Unsere Götter werden tief in dein Herz blicken und dein Ka stärken. Das Ib, dein Herz, wird heiter werden, du wirst froh und gestärkt aus dem Tempel gehen. Ich verspreche es dir, mein Freund.«
    »Vielleicht finden deine Götter Antworten auf meine Fragen.« Karidon zögerte, zuckte mit den Schultern und stand auf. »Obwohl ich selbst manche Fragen nicht kenne. Gehen wir reden – alles ist besser als düsteres Grübeln und mürrisches Hantieren mit Wintergedanken.«
    Sie verließen den kühlen Raum, schritten durch Säulenschatten und schräges Sonnenlicht und betraten das Gras zwischen den Palmstämmen. Um Merire-Hatchetefs Mund spielte ein feines Lächeln; er sah aus, als wüsste und verstünde er alles, was Karidon zutiefst bewegte. Er streckte die schmale Hand aus. »Komm!«

    Durch einen Seiteneingang, dessen Tür offenstand, kamen sie in den Vorhof des Tempels. Die Schatten hochstrebender Baumassen füllten den weißen Hof; das Wasser des Heiligen Teiches schien dunkelgrau, fast schwarz. Merire zog Karidon zwischen die Säulen der ersten Halle. Der steinerne Wald aus Tausenden Bildern und Götterzeichen war menschenleer. Karidons Blicke verloren sich im Dunkel über Lotosblütensäulen, von denen die Steindecke gestützt wurde. Die Stille sog Merires Flüstern auf. »In den heiligsten Raum darf nur Chakaura eintreten.« Eine kleinere Säulenhalle umgab sie, nachdem sie auf der ansteigenden Rampe an einer Doppelreihe mannsgroßer Götterstatuen aus Stein, Holz und farbigem Überzug vorbeigegangen waren. Aus Edelsteinaugen schienen sie Karidon erwartungsvoll anzustarren und verströmten einen Geruch nach Myrrhe und Weihrauch, der stärker wurde, als Merire Karidon bedeutete, stehenzubleiben. Leise schlurften Sandalen auf glattem Stein; Priesterschüler zündeten Öllampen auf Steinsockeln an. Dutzende Flammen zeigten Bilder und Götterstatuen. Merire wartete, bis die Priester sich zurückgezogen hatten. Jenseits der Rampe, die abwärts in einen Säulenhof führte, schwelte Weihrauch in dünnen Faden Wölkchen. Merire zeigte auf Steinhocker zwischen Götterstatuen im offenen Viereck.
    »Setz dich. Versuch zu fühlen und zu empfinden, was diesen Ort bedeutungsvoll macht. Er ist heilig für uns und den göttlichen Herrscher; für die Jahre unserer Zukunft. Sprich nicht, Kari – frage später.«
    Karidon erkannte Göttin Neith mit der Roten Krone, die Schutzgöttin der Oase um Itch-Taui, Thot mit dem Ibiskopf, Gott des Schreibens und Rechnens, Baumgöttin Hathor mit der Sonnenscheibe im Kuhgehörn und den Falkengott Month. Die Stille, in der Karidon über sich, die Freunde und die kommenden Jahrzehnte nachdachte, war erdrückend; er hörte den eigenen Herzschlag, der die Gegenwart zu Takten klopfte. Mauern, Boden und Bilder schienen sich vollgesogen zu haben mit jahrhundertelang verschweltem Weihrauch. Zwischen tiefgestaffelten Säulenreihen, höher als fünfundzwanzig Ellen, und dem schweigenden Wall der Götter begann sich Karidon unbedeutend zu fühlen: das Bewusstsein, knapp dem Tod entkommen zu sein und nun, halbwegs gesund, zwischen meisterlich behauenem Stein zu sitzen, verlor sich, als er sich zu fragen begann, ob Amun-Rês Blicke unter schweren Steinlidern hervor oder die Spiegelung der Flammen in Rê-Harachtes goldener Kopfscheibe ihm andere Antworten geben würden, als er erwartete. Aus der Stille schienen unhörbare Worte von gewaltiger Bedeutung zu tropfen. Karidons Atem ging schwer, der Dunst der rauchenden Harzkörner ließ die verkrampften Muskeln weich werden und beruhigte die Gedanken. Er drehte den Kopf. Merire-Hatchetef schien im Dunkel
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