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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch
Autoren: Aufbau
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erkennen, dass sie sich auf einem Weg befanden. Hin und wieder trat Huneric auf eine ältere, überfrorene Schneeschicht, die mit heftigem Knacken einbrach. Die Bäume boten wenigstens einigen Schutz vor den eisigen Schneeflocken, auch schien der Schneesturm abzuebben, sobald sie unter den weit ausladenden Zweigen waren. Sie kamen leichter voran. Dochder Wald war kaum mehr als ein Gehölz, so war ihnen nur eine kurze Verschnaufpause vom Schneetreiben vergönnt.
    »Wir müssen die Nava überqueren, gleich da vorn vor uns«, erklärte der Führer und befreite seinen Mantel vom Schnee mit Bewegungen ähnlich wie ein Hund, der sich Wasser aus dem Fell schüttelt. »Sie fließt rasch in den großen Fluss, den Renos, die Strömung ist reißend und voller Gefahren. Gottlob, gibt es eine alte Holzbrücke. Dort können wir rüber.«
    »Noch ein Fluss, über den wir müssen?«, fragte der Pilger angstvoll stöhnend.
    »Er ist nicht so breit wie der Renos. Ein alter Mann hat mir mal erzählt, dass die Gallier, die hier lebten, bevor die Leute von meinem Stamm kamen, den Fluss die Nava nannten, in ihrer Sprache bedeutete das so viel wie ›der wilde Fluss‹. Wir sind an der Mündung der Nava in den Renos«, erläuterte er noch unnötigerweise, denn das war dem Mönch bereits klargeworden.
    Als sie aus dem Gehölz traten, hatte es aufgehört zu schneien, doch die Wolken hingen tief, dunkel und dräuend. Unversehens standen sie am Ufer eines schmaleren Gewässers, über das eine lange, wacklige Holzbrücke führte. Weiß und wütend schoss das Wasser darunter hin. Aufgewühlt und hoch aufsprühend stürzte es sich mit donnernder Gewalt in den breiten Strom und schuf dabei Strudel und Stromschnellen, die mit einem Boot zu durchqueren gewiss waghalsig war.
    Der Fremdenführer blieb einen Moment stehen. »Der Renos windet sich durch die Höhenzüge, wie du siehst, und wendet sich hier mit fast scharfer Kehre nach Norden. Er durchzieht das Land wie eine breite Straße. Im Altertum haben die römischen Legionen ihre Via Ausonia, die Bingiummit der Stadt Augusta Treverorum verband, hier an den Ufern des Stroms gebaut. Um die Straße zu sichern, wurde am Zusammenfluss ein Kastell errichtet.«
    »Doch wo ist die Nekropole?«, erkundigte sich der Mönch ungeduldig. »Ist es noch weit bis zu der Nekropole?«
    Nachdenklich runzelte Huneric die Stirn und fragte sich wiederum, woher kommt der Mensch bloß und warum will er eine längst aufgegebene Nekropole der Römer sehen?
    »Die Überreste der römischen Begräbnisstätte liegen hinter der Baumgruppe dort drüben am anderen Ende der Brücke. Es ist also nicht mehr weit. Los, aber nimm dich in Acht, wenn du über die Brücke gehst. Durch den Schnee dürfte der Holzbelag schlüpfrig sein.«
    Die Warnung war mehr als berechtigt. Ein- oder zweimal kam der Mönch fast zu Fall, und nur sein Griff zum Geländer konnte ihn davor bewahren, auf den vom Schneematsch nassen Planken in voller Länge hinzuschlagen. Kaum hatte er die Brücke hinter sich, kehrte sein Vertrauen zu Huneric zurück, und er folgte ihm durch den knöcheltiefen Schnee. Die Schneeschicht hatte nicht alle Anzeichen einer ehemaligen Wohnsiedlung überdeckt. Mauerreste ließen ein verfallenes Kastell erahnen. Die großen Lücken in der Befestigung waren vermutlich entstanden, weil die Ortsansässigen Steine herausgebrochen und zu neuen Behausungen anderswo verwendet hatten. Ebenso waren Begrenzungen einer ehemals angelegten Straße auszumachen.
    Huneric strebte einem weiteren Waldstück zu, dessen dunkles Laubwerk etwas Unheimliches an sich hatte. Der Mönch blickte hoch zu den Bäumen, die sich in ihrer Masse zu einem Festungswall auftürmten. Wie eine undurchdringliche Mauer standen sie vor ihnen, umrankt von Brombeergestrüpp, als hätte die Natur ihre eigene Abwehr gegen Eindringlingegeschaffen. Huneric kannte jedoch einen Durchschlupf durch diese Schutzwand. Eiben und immergrüne Steineichen waren leicht zu erkennen, auch waren dem Mönch die Stechpalmen vertraut mit der grünen Rinde der jungen und den glatten grauen Stämmen der älteren Bäume. Sie alle wiesen mit ihren stachligen Blättern Tiere zurück, die Zweige und Triebe abweiden wollten. Hoch oben in den Bäumen, die ihr Laub im Winter abgeworfen hatten, fielen ihm sonderbare runde, dunkle Klumpen auf. Zunächst dachte er, es seien Vogelnester, besann sich aber, dass es schmarotzende Mistelbüsche waren.
    Er bemerkte plötzlich, wie seltsam still es in diesem Wald
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