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Der Blutfluch: Roman (German Edition)

Der Blutfluch: Roman (German Edition)

Titel: Der Blutfluch: Roman (German Edition)
Autoren: Marie Cristen
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hinuntersprang, wählte den sicheren Tod.
    »Du machst es dir zu einfach, Frau. Du bringst die Sippe in Gefahr. Wir können kein Christenkind bei uns aufwachsen lassen. Ohnehin ist unser Leben schwierig genug. Nirgendwo dürfen wir länger bleiben. Überall haben die Dummköpfe Angst vor uns, da können ihre Frauen noch so oft heimlich in unser Lager schleichen und dich bitten, ihnen die Zukunft vorauszusagen. Man schimpft uns Gauner und Landstreicher und sieht uns am liebsten, wenn wir wieder abziehen. Das weißt du doch.«
    Seine Einwände fanden kein Gehör bei Leena. Für sie zählte allein das Kind. Aliza würde sie es nennen, im Andenken an seine verzweifelte Mutter. Wenigstens diese Erinnerung schuldete sie ihr.
    »Aliza ist mein Kind. Du musst dich auch für sie entscheiden, Tibo, wenn dir daran liegt, mit mir in Frieden zu leben.«
    Nie zuvor hatte Leena gewagt, ihm Befehle zu erteilen.
    Erschrocken über die eigene Kühnheit, nahm sie dennoch kein Wort zurück. Sie wandte sich zum Gehen.
    Wenn er ihr folgte, hatte sie gewonnen – eine Tochter und die künftige Oberhand über den Ehemann und Stammesführer der Tamara.
    Würde er ihr folgen?

Erstes Buch Hoftage
    Erstes Kapitel Hochzeiten
    Aliza
Würzburg, 12. Juni 1156
    A lizas Augen suchten den Kaiser. Inmitten des Gedränges, das den Festzug begleitete, war er kaum auszumachen. Sizma, ihre jüngere Schwester, hatte sie vorgewarnt. Er sei von mittlerer Größe und beileibe nicht das Idealbild eines Ritters, das jeder erwarte. Aliza reckte sich auf die Zehenspitzen. Ihre Blicke kreuzten sich mit denen Fremder, flogen gleichgültig weiter und kehrten jäh zurück. Welcher Blick hatte sich mit dem ihren getroffen? Sie verspürte ein unbekanntes Gefühl.
    Beunruhigt und neugierig zugleich, begegnete sie den Augen von neuem. Augen von einem glänzenden Blau, das die Farbe des Himmels in den Schatten stellte. Um sie herum drückte das Stimmengewirr Erstaunen aus. Das Deutsche war ihr inzwischen so geläufig, dass sie die Worte verstand.
    »Die Königin. Beatrix von Burgund.«
    »Lieber Himmel, wie klein sie ist. Kaum größer als meine Jüngste. Ein Kind noch.«
    »Eine Jungfrau von dreizehn Lenzen, sagt man.«
    »Und der Kaiser ist mehr als doppelt so alt. Warum heiratet er ein Kind?«
    »Weil das Kind die reichste Erbin des Abendlandes ist. Weil es ihm die Herrschaft über Burgund einbringt. Weil er damit freien Weg nach Süden in seine lombardischen Städte bekommt.«
    Ein Wort gab das andere, aber Aliza schenkte den politischen Einzelheiten keine Beachtung.
    Das also war die Königin? Sie konnte die Augen nicht von ihr abwenden, obwohl der Zug seinen Weg fortsetzte und sie schließlich nur noch den Schleier sehen konnte, der, von einem goldenen Reif gehalten, über Schultern und Rücken der Braut wallte. Die Begegnung verwirrte sie, ohne dass sie gewusst hätte, weshalb. Ihre Neugier hatte dem Kaiser gegolten, aber ihn hatte sie über dem Blickwechsel mit Beatrix völlig vergessen. Auf eine rätselhafte Weise fühlte sie sich von ihr angezogen. Zu gerne hätte sie sie kennengelernt, mit ihr gesprochen. Alles in ihr drängte sich danach, über Rang und Standesgrenzen hinweg.
    »Hier steckst du. Ich habe dich überall gesucht. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du das Lager nicht alleine verlassen sollst. Es ist gefährlich.«
    Obwohl ihre Mutter einen Kopf kleiner als sie war, besaß deren harter Griff Autorität und Kraft. Aliza wagte keinen Widerspruch. Bedauernd, aber gehorsam folgte sie. Je größer ihr Abstand zum Hochzeitszug wurde, desto schneller kamen sie vorwärts.
    »Denkst du, wir sind zum Vergnügen nach Würzburg gekommen?«, wurde sie unterwegs scharf gescholten. »Wir müssen die Feiern und den Hoftag nützen, um unsere Beutel zu füllen. Du weißt selbst, wie hart der vergangene Winter uns zugesetzt hat, wie oft wir hungern mussten. Es geht nicht an, dass du den Tag untätig vertrödelst.«
    »Du bist ungerecht«, wehrte sich Aliza gegen den Vorwurf. »Ich drücke mich nicht vor der Arbeit. Ich wollte nur den Festzug sehen.«
    »Und die Gewänder der Königin und ihrer Damen bewundern. Denkst du, ich weiß nicht, wie sehr du dich nach feinen Stoffen, Schleiern und Juwelen sehnst? Wach auf, Aliza, du machst dich unglücklich mit solchen Träumen.«
    Hitze stieg Aliza in die Wangen, ihr Nacken versteifte sich. War sie so leicht zu durchschauen?
    »Ach, Kind!«
    Der vertraute Stoßseufzer ließ ihren Widerspruch verstummen. Sie wollte ihrer
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