Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der blaue Express

Der blaue Express

Titel: Der blaue Express
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
zu einem gewissen Grad hat er Grips, aber einer, der den Kopf verliert und herumsaust wie ein verschrecktes Kaninchen, kann nichts mehr zuwege bringen.»
    Bald darauf kam Poirot zu ihnen, voller kniefälliger Entschuldigungen und offenbar derart niedergeschlagen, dass harte Worte nicht am Platz schienen. Van Aldin nahm die Entschuldigungen ernst an; es kostete ihn allerdings Mühe, bissige Bemerkungen zu unterdrücken.
    Sie aßen im Speisewagen, und danach schlug Poirot zur Überraschung der anderen vor, die Nacht sitzend in Van Aldins Abteil zu verbringen.
    Der Millionär sah ihn neugierig an.
    «Verheimlichen Sie uns irgendetwas, Monsieur Poirot?»
    «Ich?» Poirot riss in unschuldigem Staunen die Augen auf. «Aber keine Spur!»
    Van Aldin antwortete nicht, aber er war alles andere als zufrieden. Dem Schaffner sagte man, er brauche die Betten nicht herzurichten. Das großzügige Trinkgeld, das ihm Van Aldin gab, machte jede Verblüffung wett, die er empfinden mochte. Die drei saßen schweigend da. Poirot zappelte herum und schien rastlos. Schließlich wandte er sich an den Sekretär.
    «Major Knighton, ist die Tür Ihres Abteils verschlossen? Ich meine die Tür zum Gang?»
    «Ja, ich habe sie eben selbst abgeschlossen.»
    «Sind Sie sicher?», fragte Poirot.
    «Wenn Sie wollen, sehe ich noch einmal nach.» Knighton lächelte.
    «Nein, nein, bemühen Sie sich nicht. Ich werde selbst nachsehen.»
    Er nahm die Verbindungstür, kehrte nach wenigen Sekunden zurück und nickte.
    «Ja, ja, Sie haben Recht. Bitte entschuldigen Sie das Gezappel eines alten Mannes.» Er schloss die Verbindungstür und setzte sich wieder auf seinen Platz in die rechte Ecke.
    Die Stunden verstrichen. Die Männer schlummerten unruhig und fuhren immer wieder auf. Wahrscheinlich hatten noch nie zuvor drei Fahrgäste Betten im luxuriösesten Zug gebucht und sich dann geweigert, die bezahlten Annehmlichkeiten auch zu nutzen. Von Zeit zu Zeit warf Poirot einen Blick auf seine Uhr, nickte und setzte sich dann wieder bequem hin, um ein wenig zu schlummern. Einmal sprang er auf, öffnete die Verbindungstür, warf einen raschen Blick in das Nebenabteil und setzte sich kopfschüttelnd wieder auf seinen Platz.
    «Was ist denn los?», flüsterte Knighton. «Erwarten Sie, dass etwas passiert?»
    «Meine Nerven!», gestand Poirot. «Ich bin wie die Katze auf dem heißen Dach. Das kleinste Geräusch lässt mich auffahren.»
    Knighton gähnte.
    «Verdammt unbehagliche Reise», murmelte er. «Ich hoffe, Sie wissen, was das Ganze soll, Monsieur Poirot.»
    Er versuchte, so gut es ging, zu schlafen. Er und Van Aldin waren eingeschlummert, als Poirot zum vierzehnten Mal auf die Uhr schaute, sich vorbeugte und dem Millionär leicht auf die Schulter klopfte.
    «Eh? Was gibt es?»
    «In fünf bis zehn Minuten, Monsieur, sind wir in Lyon.»
    «Mein Gott!» Van Aldins Antlitz wirkte weiß und eingefallen in der matten Beleuchtung. «Ungefähr um diese Zeit muss also die arme Ruth ermordet worden sein.»
    Er sah starr vor sich hin. Seine Lippen zuckten ein wenig, und seine Gedanken befassten sich mit der furchtbaren Tragödie, die sein Leben verdüstert hatte.
    Das übliche lange kreischende Seufzen der Bremsen war zu hören, der Zug verminderte seine Geschwindigkeit und fuhr in den Bahnhof von Lyon ein. Van Aldin öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus.
    «Wenn es nicht Derek war – wenn Ihre neue Theorie stimmt, hat der Mann also hier den Zug verlassen?», fragte er über die Schulter.
    Zu seinem Erstaunen schüttelte Poirot den Kopf.
    «Nein», sagte er nachdenklich, «kein Mann hat hier den Zug verlassen, aber ich glaube – ja, ich glaube, vielleicht eine Frau.»
    Knighton ächzte.
    «Eine Frau?», fragte Van Aldin scharf.
    «Ja, eine Frau.» Poirot nickte. «Sie erinnern sich vielleicht nicht daran, Monsieur Van Aldin, aber Miss Grey hat in ihrer Aussage erwähnt, dass ein junger Mann mit Mütze und Mantel aus dem Zug gestiegen ist, offenbar um sich auf dem Bahnsteig die Beine zu vertreten. Meiner Ansicht nach war dieser junge Mann wahrscheinlich eine Frau.»
    «Aber wer war sie?»
    Van Aldins Gesicht drückte Unglauben aus, aber Poirot erwiderte ernst und kategorisch:
    «Ihr Name – oder besser gesagt der Name, unter dem sie viele Jahre lang bekannt war – ist Kitty Kidd, aber Sie, Monsieur Van Aldin, kennen sie unter einem anderen Namen – Ada Mason.»
    Knighton sprang auf.
    «Was?», rief er.
    Poirot wandte sich rasch zu ihm um.
    «Ah! – ehe ich es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher