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Der blaue Express

Der blaue Express

Titel: Der blaue Express
Autoren: Agatha Christie
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Manteltasche und reichte es ihr. Sie packte es eifrig aus und klappte das Etui auf. Ein lang gezogenes «Oh» kam über ihre Lippen. Ruth Kettering liebte Juwelen – hatte sie immer geliebt.
    «O Dad, wie – wie wunderbar!»
    «Eine Klasse für sich, oder?», sagte der Millionär befriedigt. «Sie gefallen dir, was?»
    «Gefallen? Dad, sie sind einzigartig. Wie bist du an sie gekommen?»
    Van Aldin lächelte.
    «Ah! Das ist mein Geheimnis. Ich habe sie natürlich privat kaufen müssen. Sie sind ziemlich bekannt. Siehst du den großen Stein in der Mitte? Vielleicht hast du von ihm gehört; das ist das historische Feuerherz.»
    «Feuerherz 1 .», wiederholte Mrs Kettering.
    Sie hatte die Steine aus dem Etui genommen und hielt sie an ihren Busen. Der Millionär beobachtete sie. Er dachte an all die Frauen, die diese Juwelen getragen hatten. Die gebrochenen Herzen, die Verzweiflung, den Neid. Das Feuerherz hatte wie alle berühmten Steine eine Spur von Tragödien und Gewalt hinterlassen. In Ruth Ketterings ruhiger Hand schien das Juwel jedoch seine böse Kraft zu verlieren. Mit ihrer kühlen, beherrschten Haltung schien diese Frau aus dem Westen eine Widerlegung aller Tragik, aller wilden Aufwallungen zu sein. Ruth legte die Steine zurück ins Etui; dann sprang sie auf und schlang die Arme um den Hals ihres Vaters.
    «Danke, danke, danke, Dad. Sie sind ganz wunderbar! Immer machst du mir die herrlichsten Geschenke.»
    «So ist das richtig», sagte Van Aldin; er tätschelte ihre Schulter. «Du bist alles, was ich habe, weißt du, Ruthie.»
    «Du bleibst doch zum Dinner, Vater, nicht wahr?»
    «Ich glaube nicht. Du wolltest doch ausgehen?»
    «Ja, aber das kann ich ohne weiteres absagen. Nichts besonders Aufregendes.»
    «Nein», sagte Van Aldin. «Halt deine Verabredung ein. Ich habe noch genug zu erledigen. Wir sehen uns morgen, Liebes. Ich rufe dich noch an, vielleicht könnten wir uns bei Galbraith treffen?»
    Galbraith, Cuthbertson & Galbraith waren Van Aldins Londoner Anwälte.
    «Gut, Dad.» Sie zögerte. «Ich hoffe, diese – diese Sache wird mich nicht daran hindern, an die Riviera zu fahren?»
    «Wann willst du los?»
    «Am Vierzehnten.»
    «Ach, das geht schon in Ordnung. So etwas dauert immer eine ganze Weile, bis es reif ist. Übrigens, Ruth, an deiner Stelle würde ich diese Rubine nicht mitnehmen. Lass sie in der Bank.»
    Mrs Kettering nickte.
    «Wir wollen doch nicht, dass du wegen des Feuerherzens beraubt und umgebracht wirst», sagte der Millionär scherzend.
    «Und dabei hast du sie in der Tasche herumgetragen», gab seine Tochter lächelnd zurück.
    «Ja…»
    Etwas, ein Zögern, erregte ihre Aufmerksamkeit.
    «Was ist, Dad?»
    «Nichts.» Er lächelte. «Ich habe nur an ein kleines Abenteuer gedacht, das ich in Paris hatte.»
    «Ein Abenteuer?»
    «Ja. In der Nacht, als ich diese Dinger gekauft habe.»
    Er wies auf das Juwelen-Etui.
    «Ach, erzähl es mir bitte.»
    «Nichts Besonderes, Kind. Ein paar Apachen sind ein bisschen frech geworden, da habe ich auf sie geschossen, und sie sind abgehauen. Das ist alles.»
    Sie sah ihn bewundernd an.
    «Du bist wirklich eine harte Nuss, Dad.»
    «Worauf du dich verlassen kannst, Ruthie.»
    Er küsste sie zärtlich und ging. Als er ins Savoy zurückkam, gab er Knighton eine knappe Anweisung.
    «Treiben Sie einen Mann namens Goby auf; Sie finden seine Adresse in meinem privaten Notizbuch. Er soll morgen um halb zehn hier sein.»
    «Jawohl, Sir.»
    «Und ich möchte Mr Kettering sprechen. Stöbern Sie ihn für mich auf, wenn’s geht. Versuchen Sie’s in seinem Club – also, schnappen Sie ihn sich irgendwie und sorgen Sie dafür, dass er mich morgen früh hier aufsucht. Oder lieber später, so gegen zwölf. Früher steht diese Art Leute sowieso nicht auf.»
    Der Sekretär nickte zur Bestätigung der Anweisungen. Van Aldin lieferte sich nun seinem Kammerdiener aus. Das Bad war vorbereitet, und als er im warmen Wasser schwelgte, schweiften seine Gedanken zurück zum Gespräch mit seiner Tochter. Insgesamt war er ganz zufrieden. Sein scharfer Verstand hatte schon längst akzeptiert, dass Scheidung der einzige mögliche Ausweg war. Ruth hatte der vorgeschlagenen Lösung bereitwilliger zugestimmt, als er erwartet hatte. Und doch konnte er sich trotz der Einwilligung eines leichten Unbehagens nicht erwehren. Etwas in ihrem Benehmen, fand er, war nicht ganz natürlich gewesen. Er runzelte die Stirn.
    «Vielleicht bilde ich mir das nur ein», murmelte er. «Und
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