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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger
Autoren: Silvia Roth
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darauf hatte sie geachtet. Alle Rollläden, ohne Ausnahme. Sonst wäre sie doch niemals losgefahren ...
    Warum hast du ihr nicht zugesagt?
    Wem?
    Heike. Die mochtest du doch immer so sehr.
    Schon.
    Und warum willst du dann nicht zu ihrer Feier gehen? Ich muss noch lernen.
    Du kannst doch aber seinetwegen nicht dein ganzes Leben... Ich habe gesagt, ich muss noch lernen.
    Der Schatten zwängte sich durch die Ritze ins Innere der Kabine. Er legte sich über die Tasche mit ihren Kleidern, verdunkelte die schmale weiße Bank und drängte sich näher und näher an sie heran. Sie wich noch weiter zurück, fühlte die dünne Sperrholzwand in ihrem Rücken und fragte sich, ob ihre Atemzüge draußen zu hören waren. Die Antwort auf diese Frage schien plötzlich von brennender Wichtigkeit. Konnte man sie hören ? Ein Spanner, fuhr es ihr durch den Kopf, die gibt es schließlich in jedem Schwimmbad. Warum nicht auch hier? Ein ganz normaler Spanner... Sie starrte die Tür an. Der Riegel war aus Plastik. Die verdammte Tür hatte einen Spalt an der Seite, und der Riegel war nur aus leichtem, billigem Plastik. Warum war ihr das nicht aufgefallen? Wie hatte sie in diese Falle geraten können? Sie wollte doch nur das kühle Wasser auf ihrer Haut spüren, bevor es wieder Winter wurde. Nur das Wasser ...
    Es ist ein Spanner, hämmerte es hinter ihrer Stirn. Du kannst ihn sehen. Du brauchst nur in die Knie zu gehen und durch den Zwischenraum unter der Tür zu schauen, der dir vorher ebenso wenig aufgefallen ist wie der Riegel aus Plastik. Es ist ganz leicht, dich davon zu überzeugen, dass ein fremdes Paar Beine dort draußen vor deiner Kabinentür steht und zu dir hereinlauscht. Die fremden Beine eines ganz normalen Spanners.
    Von irgendwoher drang das Brausen einer Dusche an ihr Ohr und erfüllte sie unvermittelt mit einem Gefühl tiefer Erleichterung. Sie war nicht allein. Rentner waren hier und Gesundheitsapostel. Einer von ihnen stand dort draußen auf der anderen Seite des Sperrholzes und drückte in diesem Augenblick ganz sachte gegen die Tür, um zu sehen, ob der Riegel aus Plastik nachgeben würde. Es waren Sommerferien,die Sonne lachte, und vor der Tür standen fremde Beine in fremden Badeschuhen. Einmal im Jahr hatte auch sie das Recht auf ein eiliges Bad im funkelnden türkisblauen Chlor. Das Recht, an einem Ort zu sein, wo seine kranken Fantasien sie nicht erreichen konnten. Aber sie musste ganz sichergehen, was den Spanner betraf! Erst dann würde sie es wagen, die Tür zu öffnen. Erst dann . Sie hielt den Atem an und ging langsam in die Knie. Zentimeter um Zentimeter ließ sie sich an der dünnen Wand hinuntergleiten, während sie die noch immer verdunkelte Ritze neben der Tür im Auge behielt. Unter ihren Knien tauchte das morsche Holzgitter auf, das auf den Kacheln lag, noch immer nass von früheren Füßen. Geschafft! Gleich würde sie sie sehen, die Beine, die sie bedrohten. Bestimmt waren sie alt und hässlich. Sie verlagerte ihr Gewicht nach vorn und stützte sich mit beiden Händen auf dem Boden ab.
    Plötzlich war ihr, als nehme sie ein leises Geräusch wahr. Es klang harmlos. Wie ein Kinderlachen.
    Sie senkte den Kopf, bis er dicht über dem Boden schwebte. Der Uringestank wurde dicker und griff mit langen, klebrigen Fingern nach ihrem Gesicht. Sie unterdrückte einen leichten Brechreiz und zwang sich, den Kopf noch etwas tiefer zu nehmen. Sicherheitshalber tasteten sich ihre Augen ein letztes Mal hinauf zu der Ritze, oben neben dem armseligen Riegel aus Plastik. Von dort fiel helles Tageslicht herein ...
    Im selben Augenblick schnellte seine Hand unter der Tür hervor und ließ eine rote Rose vor sie auf den Boden fallen. Die Blüte streifte ihr linkes Knie, und sie begann zu schreien.
    Sie schrie, schrie, schrie, so laut sie konnte, und hörte erst wieder damit auf, als ihr eilig herbeigerufener Vater durch das Drehkreuz bei der Kasse stürzte.

 
     
     
     

Gelbe Chrysanthemen
    mit wachen gelben Augen
    verfolgen
    deine Schritte
    Geliebte
    und feiern jubelnd dich
    bis spät ins Jahr

Montag, 16. Oktober 2006
    Schmollend rutschte das kleine Mädchen vom Stuhl und blickte seinen Vater vorwurfsvoll an. »Aber du hast es versprochen«, beharrte es.
    »Es reicht jetzt, Jinka !« In der Stimme ihrer Mutter schwang ein Hauch von Gereiztheit mit. »Du weißt ganz genau, dass dein Vater sich die Termine für seine Geschäftsreisen nicht aussuchen kann.«
    Die Kleine blickte am Rücken ihres Vaters hoch, der am
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