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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Autoren: Stefan Aust
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den Trakt geschoben. Ihnen war seltsam zumute. Der Gefangene Raspe stand nicht, wie sonst, an der Tür. Ihre Kollegen, unter ihnen die Vollzugsbeamtin Renate Frede, die während der Nacht im siebten Stock Bereitschaftsdienst gehabt hatte, standen einige Schritte entfernt.
    Stoll warf einen Blick in die Zelle und drehte sich abrupt um: »Komm einmal her. Schau mal, da ist was los!«
    Die Beamten drängten sich in die Türöffnung. Das Bett Raspes stand wie gewöhnlich quer zum Eingang. Es reichte fast von einer Zellenwand zur anderen. Raspe saß mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett. Mit dem Rücken lehnte er an der Treppenhauswand. Sein Kopf war leicht nach rechts gedreht und hing nach unten. Von der linken Schädelseite rann Blut. An der Wand hinter Raspes Kopf war ein Blutfleck. Stoll bemerkte, daß Raspe atmete, und hörte ihn stöhnen.
    »Mach sofort wieder zu!« ordnete Hauptsekretär Miesterfeld an. Keiner der Justizbeamten hatte die Zelle betreten. Stoll schloß die Tür und verständigte den stellvertretenden Vollzugsdienstleiter Horst Bubeck. Miesterfeld rief das Krankenrevier an.
    Die Beamten sprachen leise, damit die Gefangenen in den übrigen Zellen nichts von den Geschehnissen mitbekamen. Kaum drei Minuten später betraten zwei Sanitäter in Begleitung von Amtsinspektor Erich Götz und Hauptsekretär Heinz Münzing den Zellentrakt. Die Tür wurde wieder aufgeschlossen, und die Beamten gingen in Raspes Zelle. »Da liegt eine Pistole!« rief einer der Beamten.
    »Der lebt ja noch«, entfuhr es Götz. »Vorsichtshalber nehme ich die Pistole weg.« Mit seinem Taschentuch ergriff er die Waffe vorn am Lauf und zog sie an sich. Miesterfeld holte ein Geschirrtuch und wickelte die Pistole ein. Götz steckte sein Taschentuch weg. Es klebte kein Blut daran.
    Später waren sich die Beamten nicht einig, wo die Pistole tatsächlich gelegen hatte. Einer der Sanitäter meinte, sie habe sich auf Raspes geöffneter Hand befunden. Amtsinspektor Götz erinnerte sich dagegen, er habe sie unter der geschlossenen Hand weggezogen. Verwertbare Fingerabdrücke waren nachher nicht mehr festzustellen.
    Raspe blutete aus Mund, Ohren und Nase. Er hatte an beiden Augen Blutergüsse, groß wie eine Kinderfaust. Die Sanitäter konnten auf den ersten Blick keine Schußverletzung feststellen. Ohne Raspes Lage zu verändern, alarmierten sie den Notarztwagen.
    Gegen 8 . 00 Uhr traf der Unfallwagen des Roten Kreuzes ein. Zwei Sanitäter hängten Raspe an den Tropf und legten ihn auf eine Trage. Wenig später kam auch der Notarzt. Unter Begleitung von zwei Justizbeamten wurde Raspe zum Katharinenhospital gebracht. Zwei Polizeifahrzeuge fuhren vorweg und machten die Straße frei.
    Im Operationssaal war alles vorbereitet. Raspe wurde geröntgt und ärztlich versorgt. Aber alle Hilfe war vergebens. Jan-Carl Raspe starb um 9 . 40 Uhr.
    Nach Raspes Abtransport war um 8 . 07 Uhr die Tür zu Baaders Zelle geöffnet worden. Von innen lehnte eine Schaumstoffmatratze gegen den Rahmen. Sanitäter Soukop schob die Matratze zur Seite und betrat die Zelle. Die Fenster waren verhängt. Es war so dunkel, daß er zunächst kaum etwas erkennen konnte. Baader lag auf dem Zellenboden, ausgestreckt, den Kopf in einer Blutlache. Der Mund stand offen, die Augen waren starr nach oben gerichtet. Der Sanitäter versuchte, den Puls zu fühlen, aber Baader war schon tot. Seine Hand war kalt. Links von ihm lag eine Pistole. »Guck, da haben wir die Bescherung, da liegt noch eine Pistole«, sagte einer der Justizbeamten.
    Auf Anweisung eines inzwischen eingetroffenen Mitglieds der Anstaltsleitung wurde die Tür zu Baaders Zelle wieder verschlossen.
    Da bei Baader in Zelle 719 nichts mehr zu retten war, hasteten die Beamten zur gegenüberliegenden Zelle 720 . Wieder betrat der Sanitäter als erster den abgedunkelten Raum. Links vom Eingang stand eine Art spanische Wand, hinter der Gudrun Ensslin ihr Matratzenlager hatte. Soukop tastete sich im Halbdunkel an der Stellwand entlang und sah dahinter. Er konnte die Gefangene nicht entdecken und rief laut nach ihr. Keine Antwort. Als er sich umdrehte, sah er zwei Füße unter der Decke hervorhängen, mit der das rechte Zellenfenster abgedunkelt war. In diesem Moment betrat der Anstaltsarzt Dr. Wolf Majerowicz die Zelle. Er griff nach der Hand der Gefangenen. Sie war kalt.
     
    Inzwischen eilten die Beamten weiter zur Zelle 725 . Irmgard Möller, in Jeans und T-Shirt, lag zusammengekrümmt auf der Matratze, die Decke bis zum
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