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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Autoren: Stefan Aust
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keine Gefahr drohte. Er selbst war aber entschlossen, das »grüne Licht« auf keinen Fall zu geben. Er wollte die Befreiungsaktion sabotieren, weil er kurz zuvor erfahren hatte, daß Schußwaffen eingesetzt werden sollten. Vergeblich. Die Akteure im Haus gegenüber hatten das Signal gar nicht erst abgewartet und gleich geschossen.
    Niemand sonst im Theaterwissenschaftlichen Institut hatte etwas von der dramatischen Situation gegenüber bemerkt. Erst als Schüsse fielen, liefen Besucher und Mitarbeiter ans Fenster. Sie sahen zum Teil vermummte Gestalten zur Straße rennen. »Guck mal«, sagte einer. »Was sind das da für welche? Die sind ja bewaffnet!« Die Beobachter hatten bis jetzt an einen studentischen Mummenschanz geglaubt, nun griffen sie zum Telefon und riefen die Polizei.
    Draußen auf der Straße warfen sich gerade vier Frauen und zwei Männer in einen silbergrauen Alfa Romeo Sprint und einen zweiten, viertürigen Wagen. Am Steuer saß jeweils eine Frau.
     
    An diesem Morgen hatte Astrid Proll den schon einige Zeit zuvor von ihr beschafften zweitürigen Alfa Romeo vor dem Institut für soziale Fragen geparkt, um auf die Befreiten zu warten. Nacheinander klemmten sich drei Frauen durch die Beifahrertür auf den Rücksitz, ein Mann nahm vorn Platz. Astrid Proll kannte den Fluchtweg, hatte ihn vorher einige Male abgefahren. Auf der kurzen Fahrt raste der Wagen über Kopfsteinpflaster und durch einige enge Kurven. Irene Goergens, ein Fürsorgezögling aus dem Berliner Heim »Eichenhof«, hatte sich hinter Astrid gesetzt. Plötzlich erbrach sie sich, warm lief es Astrid in den Nacken. Sie bekam eine Ahnung, daß irgend etwas schiefgegangen war.
    In dem engen Wagen wurden Masken und Perücken gewechselt, Waffen und Jacken verstaut. In der Mitte saß Ingrid Schubert, die sich sieben Jahre später, nach dem Tod der Stammheimer Häftlinge, in der Vollzugsanstalt München-Stadelheim erhängte. Gudrun Ensslin saß hinten rechts, stumm und angespannt. Alles ging sehr schnell. Astrid Proll hielt einige Male, und allein oder zu zweit verließen ihre Mitfahrer den Wagen, bis sie ihn in einer ruhigen Gegend abstellte, abschloß und wegging.
     
    Um 12 . 45 Uhr erschien die Mordkommission am Tatort. Der 62 jährige Institutsangestellte Georg Linke wurde mit einem lebensgefährlichen Leber-Steckschuß in das Martin-Luther-Krankenhaus eingeliefert.
    Die Befreiung Andreas Baaders war gelungen.

3. Andreas Baader
    Der junge Mann, der am 14 . Mai 1970 aus dem Fenster in die Freiheit gesprungen war und das Studium sozialer Fragen und einen alten angeschossenen Mann hinter sich gelassen hatte, war kurz zuvor 27  Jahre alt geworden.
    Geboren wurde Andreas Baader am 6 . Mai 1943 in München als Sohn des Historikers und Archivars Dr. Berndt Phillipp Baader, der seit 1945 , nachdem er als Soldat in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten war, vermißt blieb.
    Die Mutter hatte nicht wieder geheiratet.
    Andi, wie er zärtlich genannt wurde, war ein von Mutter Anneliese Baader, der Großmutter und einer Tante verwöhntes Kind.
    Intelligent, aber sprunghaft sei er gewesen, so das Urteil von Erziehern und Verwandten, faul, wenn ihn etwas nicht interessierte, aber von ausgeprägter Willensstärke.
    Sein Vater hatte zu Beginn des Krieges an der Münchener Universität studiert. Als die Geschwister Scholl verhaftet wurden, kam er erregt nach Hause und erklärte seiner Frau, nun müsse er in den Widerstand gehen.
    »Damit setzt du die Existenz der Familie aufs Spiel«, warf seine Frau ein. Der Schritt in den Widerstand blieb aus.
    »Weil er Angst hatte«, sagte Anneliese Baader später über ihren Mann, »das macht den Unterschied zwischen den beiden aus. Andreas hatte nie Angst. Er führte alles bis zur letzten Konsequenz durch.« Anweisungen oder gar Befehlen folgte Andreas als Kind nicht, ohne nach dem Warum zu fragen. Irgendwann gab die Mutter es auf, erzieherische Maßnahmen durchzusetzen. Es war schwer für sie, seine Handlungen und Reaktionen vorauszusehen. Mal teilte er uneigennützig alles, was er hatte, zog seinen Pullover aus, wenn er jemanden frieren sah, dann wieder konnte er bedenkenlos jemanden um Geld erleichtern.
    Im Frauenhaushalt lehnte er sich gegen viele Rituale auf: Aus Protest wollte er sich nicht waschen, zum Essen mußte er oft an den Ohren herbeigezogen werden; was ihm nicht schmeckte, das aß er nicht. Er ließ sich nicht konfirmieren, weil er den Religionsunterricht haßte, wollte seinen Geburtstag nicht
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