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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber
Autoren: Daniel Silva
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nicht selbst? Sie möchte Sie  sehen.«
    »Ich muß nach Jerusalem zurück.«
    »Wozu, Gabriel? Um noch länger mit anderen Verrückten durch die Altstadt zu laufen? Besuchen Sie Jacqueline. Bleiben Sie ein paar Tage bei ihr. Wer weiß? Vielleicht amüsieren Sie sich dabei sogar.«
    »Wann darf ich von hier fort?«
    »Als Fachmann bin ich der Ansicht, daß Sie außerhalb Israels  nirgendwo sicher sein werden.«
    »Ich will heim.«
    »Dies ist Ihre Heimat, Gabriel!«
    Aber Gabriel schüttelte langsam den Kopf.
    »Was habe ich Ihnen getan, Gabriel? Warum hassen Sie Ihr  Volk und Ihr Land so sehr?«
    »Ich hasse niemanden. Aber ich finde hier keine Ruhe.«
    »Deshalb wollen Sie nach Europa? Zurück zu Ihren Gemälden? Tun Sie mir einen Gefallen, verlassen Sie Jerusalem für ein paar Tage. Setzen Sie sich ins Auto, fahren Sie durch Ihre Heimat. Lernen Sie sie noch einmal kennen. Vielleicht gefallt Ihnen, was Sie sehen.«
    »Das wäre zu anstrengend. Ich bleibe lieber in Jerusalem, bis Sie mich gehen lassen.«
    »Verdammt noch mal, Gabriel!«
    Schamron schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Teller klirrten. »Sie haben die letzten paar Jahre damit verbracht, alles  und jeden zu restaurieren - nur sich selbst nicht. Sie restaurieren Gemälde, Oldtimer und alte Segelboote. Sie haben den Dienst restauriert. Sie haben Julian Isherwood und Jacqueline restauriert. In gewisser Weise haben Sie sogar Tariq restauriert, als Sie darauf bestanden haben, daß wir ihn in Obergaliläa beisetzen. Aber nun wird's Zeit, daß Sie sich selbst restaurieren. Sehen Sie zu, daß Sie aus dieser Wohnung rauskommen. Leben Sie Ihr Leben, sonst wachen Sie eines Tages auf und entdecken, daß Sie ein alter Mann sind. Wie ich.«
    »Was ist mit Ihren Aufpassern?«
    »Die habe ich zu Ihrem Schutz abgestellt.«
    »Ziehen Sie sie ab.«
    Schamron reckte das Kinn vor. »Gut, ab sofort müssen Sie allein zurechtkommen.«
    Als Gabriel in dieser Nacht nach Jerusalem zurückfuhr, überlegte er sich, wie gut alles geklappt hatte, was der Alte sich vorgenommen hatte. Lev und die anderen waren fort, Tariq war tot, und der Ruf des Diensts war wiederhergestellt. Nicht übel für ein paar Wochen Arbeit, Ari. Gar nicht übel.
    Gabriel fuhr zuerst nach Süden, durch die von Steilhängen und Kratern geprägte Wüstenlandschaft des Negevs nach Eilat und zum Roten Meer hinunter. Dort verbrachte er einen Tag am Strand und sonnte sich, aber innere Unrast trieb ihn wieder nach Norden. Er fuhr auf der Schnellstraße durch den westlichen Negev nach Beerscheba und folgte dann dem schwarzen Asphaltband durch die Wildnis von Judäa und der West Bank.
    Irgend etwas brachte ihn dazu, die Ostflanke der Bergfestung Masada auf dem anstrengenden Schlängelpfad zu erklimmen und zu Fuß durch die Ruinen zu streifen. Gabriel mied den Touristenrummel am Toten Meer und verbrachte lieber einen Nachmittag auf den arabischen Märkten in Hebron und Jenin. Er hätte gern Schamrons Gesicht gesehen, während der Alte beobachtete, wie er unter den gleichmütigen Blicken dunkeläugiger Veteranen der Intifada mit den Händlern in ihren weißen Kaffijahs feilschte.
    Dann fuhr er durchs Jezreeltal und hielt in der Nähe von Afula auf der Straße nach Nazareth am Tor des Kibbuz, in dem er aufgewachsen war. Er überlegte, ob er hineingehen sollte. Um was zu tun? Um was zu sehen? Seine Eltern waren schon lange tot, und wäre er wie durch ein Wunder tatsächlich jemandem begegnet, den er kannte, hätte er lügen müssen.
    Er fuhr nach Norden weiter. Als er nach Galiläa hineinfuhr, waren die Hügel mit einem Teppich aus Wildblumen bedeckt. Er machte eine Rundfahrt um den See. Dann fuhr er zu der alten Bergstadt Safed hinauf und anschließend auf die Golanhöhen. Er parkte am Straßenrand in der Nähe eines drusischen Schäfers, der seine Herde hütete, und beobachtete den Sonnenuntergang über den Finger von Galiläa hinweg. Zum ersten Mal seit vielen Jahren empfand er etwas wie Zufriedenheit. Wie inneren Frieden.
    Gabriel setzte sich wieder ins Auto und fuhr den Golan hinunter zu einem Kibbuz außerhalb von Qirjat Schemona. Es war Freitag abend. Er ging in die Kantine, um am Sabbatmahl teilzunehmen, und saß mit einer Gruppe Erwachsener aus dem Kibbuz zusammen, braungebrannten Landarbeitern mit schwieligen Händen. Anfangs ignorierten sie ihn. Dann fragte einer von ihnen, ein älterer Mann, wie er heiße und woher er stamme. Er antwortete, er heiße Gabriel. Er stamme aus dem Jezreeltal, habe aber
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