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Der Atlantis-Komplex

Der Atlantis-Komplex

Titel: Der Atlantis-Komplex
Autoren: Eoin Colfer
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ruhig. Er hatte immer gewusst, dass ein Tag wie dieser kommen würde. »Es hat ein paarmal gut funktioniert.« Er blickte auf die Zeitanzeige seines Armbandcomputers. »In fünf Minuten explodiert das Shuttle, und wir sterben alle. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss zu meiner Frau.«
    Als er sich zum Gehen wandte, stellte er fest, dass seine Frau näher war, als er vermutet hatte. Leonor stand vor dem Desinfektionsvorhang der Röhre, schwer auf ihren Gehstock gestützt. Im Schein der Lichtkreise wirkte ihr Gesicht blass.
    »Turnball, was geht hier vor?«, fragte sie. Das Atmen fiel ihr schwer, aber ihre Augen waren beide offen und klar. Klarer, als sie es seit dem Tag ihrer ersten Begegnung gewesen waren.
    Turnball eilte an ihre Seite und stützte sie mit einem Arm. »Liebste, du solltest dich hinlegen. Es wird dir bald bessergehen.«
    »Unsinn.« Leonors Stimme klang überraschend barsch. »Du hast gerade gesagt, das Shuttle explodiert gleich.«
    Turnballs Augen weiteten sich vor Überraschung − seine geliebte Frau hatte ihn noch nie angefahren −, doch er behielt ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen. »Was macht das schon, solange wir zusammen sind, im Tod vereint?«
    Irgendwoher nahm Leonor die Kraft, sich aufzurichten. »Ich bin bereit für meinen langen Schlaf, Turnball. Aber du bist jung, und diese Leute hier sind jung, und ist das da drüben nicht ein Krankenhaus?«
    »Ja. Aber diese Leute sind meine Feinde. Sie haben mich verfolgt.« Turnball leckte über die Rune an seinem Daumen, doch Leonor unterlag nicht länger seiner Macht.
    »Ich glaube, du bist längst nicht so unschuldig, wie du behauptet hast, aber ich war blind vor Liebe. Ich habe dich immer geliebt, Turnball, und ich werde dich immer lieben.«
    Orion wurde allmählich nervös. Die Uhr tickte, und er verspürte nicht den geringsten Drang, seine geliebte Holly in einer Explosion sterben zu sehen.
    »Lassen Sie mich durch, Madam«, sagte er zu Leonor. »Ich muss dieses Shuttle nach unten in den Graben steuern.«
    Zitternd erhob Leonor ihren Stock. »Nein. Diese Reise trete ich allein an. Ich bin schon viel zu lange auf dieser Erde, und ich habe die Augen vor dem verschlossen, was um mich herum geschah. Jetzt werde ich an einen Ort fliegen, den ich niemals für möglich gehalten hätte.« Sie strich Turnball über die tränennasse Wange und küsste ihn. »Wenigstens kann ich jetzt endlich wieder fliegen, Turnball.«
    Zärtlich umfasste Turnball die Schultern seiner Frau. »Du kannst fliegen, und du wirst fliegen. Aber nicht jetzt. Dieser Flug geht in den Tod, und ich kann ohne dich nicht sein. Sehnst du dich denn nicht mehr nach dem, was wir einmal hatten?«
    »Diese Zeiten sind vorbei«, sagte Leonor schlicht. »Vielleicht hätten sie niemals sein sollen. Jetzt musst du mich gehen lassen − oder du musst mit Gewalt versuchen, mich daran zu hindern.«
    Vor diesem Ultimatum hatte Turnball sich gefürchtet, seit er die Rune in Leonors Hals gebrannt hatte. Er würde seine Frau verlieren, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Sein Gesicht spiegelte seine Gefühle deutlich wider, und um seine Augen erschien ein Netz aus Falten, wie von einem unsichtbaren Stift gemalt.
    »Ich muss gehen, Turnball«, sagte Leonor leise.
    »Flieg, meine Liebste«, erwiderte Turnball, und in diesem Moment wirkte er genauso alt wie seine Frau.
    »Ich tue es für dich, Liebster. Ich möchte dich retten, so wie du mich damals gerettet hast.« Leonor küsste ihn ein letztes Mal und zog sich hinter den Vorhang zurück.
    Turnball stand eine Weile mit bebenden Schultern da, den Kopf gesenkt, dann riss er sich zusammen.
    Er drehte sich zu Orion und wies mit dem Daumen auf das Shuttle hinter sich. »Ich gehe jetzt besser. Leonor schafft es nicht allein die Treppe hinauf.«
    Und mit dieser alltäglichen Bemerkung verschwand er und schloss das Schott hinter sich.
    »Schlicht, aber nicht ohne Eleganz«, sagte Orion. »Ein gelungener Abgang.«
    Die Butlers waren beide bewusstlos, was ihnen später noch peinlich sein würde – und zu allerlei Spötteleien führen würde –, deshalb sahen sie nicht, wie das Pseudo-Krankenshuttle sich von der Röhre der Nostremius löste. Leonor und Turnball waren hinter der Scheibe des Cockpits deutlich sichtbar, als es in einem weiten, schwungvollen Bogen in den Tiefen des atlantischen Grabens verschwand.
    »Was für eine Pilotin«, sagte Orion. »Bestimmt halten die beiden jetzt Händchen und lächeln tapfer.«
    Sekunden
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