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Der Archipel in Flammen

Titel: Der Archipel in Flammen
Autoren: Jules Verne
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seinen halbgeschlossenen Händen ein Fernrohr gedreht hatte.
    "Sei uns der liebe Gott gnädig!" versetzte der alte Gozzo. "Ob nun Polakra oder Schebecke oder Pinke, auf alle Fälle ist's ein Dreimaster, und ein Dreimaster ist immer besser als ein Zweimaster, wenn er bei uns stranden soll mit einer ordentlichen Weinfracht aus Kandia oder mit Stoffen aus Smyrna!"
    Zufolge dieser den Nagel auf den Kopf treffenden Bemerkung hielt alles noch weit schärfere Ausschau. Das Schiff kam näher und wurde langsam größer; aber gerade weil es so dicht am Winde fuhr, konnte man es nicht von der Quere sehen; es hätte also noch immer seine Schwierigkeit gehabt, zu entscheiden, ob es ein Zwei- oder ein Dreimaster sei, das heißt: ob man auf eine beträchtliche Tonnenlast rechnen dürfe oder nicht.
    "O! das Unglück verfolgt uns, und der Teufel hat die Hand im Spiel!" rief Gozzo und stieß einen jener vielzungigen Flüche aus, mit denen er all seine Sätze verstärkte ... "wir werden nicht über eine Feluke hinauskommen ..."
    "Oder gar nur eine Speronare!" rief der Gottesknecht, nicht weniger enttäuscht als seine Gläubigen.
    Ob diese beiden Bemerkungen mit Ausrufen des Verdrusses hingenommen wurden, wird nicht erst gesagt zu werden brauchen. Aber mochte es nun solch oder solch ein Fahrzeug sein, so viel ließ sich schon beurteilen, daß es nicht über 100–120 Tonnen messen würde. Schließlich kam es ja gar nicht auf ein beträchtliches Quantum an, sobald die Qualität der Fracht hervorragend war. Gar manche von diesen gewöhnlichen Feluken oder gar Speronaren sind nämlich mit köstlichen Weinen, feinen Oelen oder wertvollen Geweben befrachtet. In solchem Falle sind sie des Angriffs schon wert und bringen viel ein für einen kleinen Aufwand von Mühe. Zu verzweifeln brauchte man also noch immer nicht. Zudem fanden die Alten unter der Schar, die auf solchem Gebiete gutbeschlagen waren, an dem Schiffe einen gewissen Grad von vornehmer Form und flotter Fahrt: allemal Eigenschaften, die zu seinem Vorteil sprachen.
    Inzwischen begann die Sonne im Westen des ionischen Meeres hinter dem Horizont zu verschwinden; aber die Oktoberdämmerung ließ erwarten, daß es noch immer eine Stunde lang hell genug bleiben würde, um vor Einbruch der Nacht das Schiff noch feststellen zu können. Zudem wendete es, nach Umschiffung des Kap Matapan, um bessere Einfahrt in den Busen zu haben, um zwei Quarten und zeigte sich den Blicken der Beobachter unter besseren Bedingungen.
    Kein Wunder, daß im nächsten Augenblicke dem Munde des alten Gozzo das Wort "Sakolewa!" entfuhr.
    "Eine Sakolewa!" schrieen seine Kameraden, deren Aerger sich durch eine Flut von Flüchen Luft machte.
    In dieser Hinsicht aber gab es keinen Streit, weil kein Irrtum mehr möglich war. Das Schiff, das an der Mündung des Golfs von Koron manövrierte, war tatsächlich nichts anderes als eine Sakolewa. Zudem waren schließlich die Leute von Vitylo sehr im Unrecht, über Unglück zu schreien, denn es gehört durchaus nicht zu den Seltenheiten, daß sich auch an Bord von solchen Sakolewen kostbare Fracht vorfindet.
    Als Sakolewen bezeichnet man in der Levante Fahrzeuge von mittlerem Tonnengehalt, mit leicht aufwärts gebogenem Hinterdeck und aurischem Segelwerk auf den drei Masten. Der stark zum Vorsteven hin gekippte, mitten im Schiff stehende Großmast trägt ein lateinisches Segel, ein Not- und ein Marssegel mit fliegendem Topp. Zwei Klüver am Vorsteven, zwei Spitzsegel auf den beiden ungleichen Masten des Hinterschiffs bilden die Ergänzung des Segelwerks, das solcher Sakolewa einen Anblick von merkwürdiger Beschaffenheit verleiht. Die grellen Farben, mit denen ihr Rumpf bemalt ist, die im Gegensatz zum Hinterschiff gradlaufende Form ihres Vorstevens, die Mannigfaltigkeit ihrer Bemastung, der phantastische Schnitt ihrer Segel, stellen die Sakolewa in die vorderste Reihe jener graziösen Schiffe, die in den schmalen Gewässern des griechischen Archipels zu Hunderten luven.
    Obwohl die Brise Neigung steif zu werden verriet und der Himmel sich mit "Lämmchen" – Bezeichnung bei den Bewohnern der Levante für eine gewisse Wolkenbildung des südlichen Himmels – zu überziehen anfing, verringerte doch die Sakolewa ihr Segelwerk um kein Stück. Sie hatte sogar ihr fliegendes Topp beibehalten, das mancher Seemann von geringerer Verwegenheit gewiß schon hereingeholt hätte. Augenscheinlich verfolgte der Kapitän die Absicht, ans Land zu gehen, weil er keine Lust hatte, auf einem
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