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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere
Autoren: Brian DeLeeuw
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Kriegsbemalung.
    »Siehst du ihn?«
    Ich nickte. Der Tyrannosaurus schlingerte gemächlich Richtung Spielplatz. Der Boden unter unseren Bäuchen vibrierte. Die Bäume wirkten in seinem Schatten wie Spielzeug. Das Spiegelbild seines dornigen Rückens verschwand von der Glasfassade, als er über die Straße zwischen dem Museum und dem Spielplatz stolzierte, nach vorn gebeugt, den Bereich zu seinen Füßen mit schwarzen Augen absuchend. Ein Polizeiauto jagte heulend zwischen seinen Beinen hindurch, als er über den Zaun des Spielplatzes hinwegtrat. Ich sah durch das Zielfernrohr und erfasste den Koloss im Fadenkreuz.
    »Los!«, schrie Luke. Wir rollten unter den Schaukeln hervor, rappelten uns hoch und rannten zur Kettenbrücke. Der Tyrannosaurus erspähte uns vom Rande des Spielplatzes aus und wurde schneller. Er senkte den Kopf und zeigte uns seine Zähne. Armdicke Speichelfäden waberten in der Höhle zwischen den beiden Reihen seiner Vorderzähne. Ein Fleischbrocken löste sich und klatschte nass in den Sand. Wir hatten die Brücke fast erreicht, als ich ihre Stimme hörte, scharf, eindringlich, jaulend wie eine wellige Schallplatte. »Luuuke!«
    Der Name passte zu ihr. Claire Nightingale war von zierlicher Statur, wie ein Vogel mit präzisen, schnellen Bewegungen. Sie stand am entgegengesetzten Ende des Spielplatzes. Die untergehende Sonne schien ihr direkt ins Gesicht, der Schatten teilte ihren Körper in zwei Teile. Sie fuchtelte mit ihren Händen in unsere Richtung. »Wir müssen gehen.« Luke bewegte sich nicht. Ich sah über meine Schulter: Der Tyrannosaurus war nirgends zu sehen. Claire hatte ihre Arme in die Hüften gestemmt. »Luke!« Sie trug einen marineblauen Hosenanzug und schwarze flache Schuhe. Trotz der beißenden Kälte an diesem frühen Winternachmittag trug sie keinen Mantel. Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden und deutete auf den Platz vor sich. »Du kommst jetzt augenblicklich her.«
    Luke seufzte, sah mich an und zuckte die Schultern. Mein Gewehr verschwand, als er zu seiner Mutter ging. Auf halbem Weg blieb er stehen und drehte sich zu mir um. »Komm. Du willst doch nicht allein hierbleiben, oder?«
    Als Luke in ihrer Reichweite war, gab Claire ihm einen Kuss auf die Wange und fasste ihn streng am Handgelenk. »Ich habe vergessen, auf die Uhr zu sehen. Wir kommen zu spät.«
    »Daniel kommt mit«, sagte Luke. »Er ist mein neuer Freund.«
    Ich nickte Claire zu, aber sie warf mir nur einen flüchtigen Blick zu. »Ist das wahr?«
    »Ich möchte Ihnen keine Umstände machen«, antwortete ich.
    Claire lächelte, eine private Abmachung. »Ich denke, das ist in Ordnung.«
    Luke verstaute die Wasserpistole in seiner Tasche, nahm meine Hand und bildete so eine Brücke zwischen seiner Mutter und mir, während wir die Fifth Avenue entlanggingen. Ein zweiter Polizeiwagen und ein Rettungswagen jaulten hinter uns auf und bahnten sich ihren Weg durch den Straßenverkehr der Innenstadt. Ich sah über die Schulter, um ihren Weg zu verfolgen. Einige Straßenzüge weiter in südlicher Richtung kamen sie zum Stehen. Eine kleine Menschenmenge hatte sich dort auf dem Bürgersteig gegenüber dem Museum eingefunden. Aber dann zog Luke mich fort, und ich sah nicht mehr zurück.
    »Ich habe dir doch gesagt, dass du dich nicht in diesem schmutzigen Sand herumwälzen sollst.« Claire blickte auf die feinen Partikel, die auf dem Sweatshirt ihres Sohnes ein Streifenmuster gebildet hatten. »Du könntest dir eine Krankheit einfangen.«
    »Wie?«
    »Alles, was im Sand lebt, lebt auch in deinem Körper, wenn es dort hineingelangt. Ich versuche, dich zu beschützen, Luke.« Er nickte, aber ich hatte den Eindruck, dass er es nicht verstanden hatte. »Ich meine Lebewesen, die du nicht sehen kannst. Die sind überall an deinem ganzen Körper, und du kannst sie nicht einmal fühlen. Und wir Menschen sind anfällig, selbst für die Kleinsten von ihnen. Unsere Haut ist durchlässig. Weißt du, was das bedeutet?« »Porös«, sagte ich, aber sie fuhr fort, als hätte sie mich nicht gehört: »Das bedeutet, dass wir mit Löchern übersät sind. Wie ein Mulltuch. Siebe. Und dann dringen diese Dinger in uns ein und vermischen sich mit dem, was unsers ist. Und wir können nicht mehr zwischen den beiden unterscheiden.« So ging das den ganzen Weg. Während ihrer Ansprache versuchte ich zu sortieren, wusste aber nicht, was wichtig und was überflüssig war.
    Das Nightingale-Apartment befand sich in der 106 . Straße, gegenüber der
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