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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer
Autoren: Stefan Zweig
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trüb wie unter Tränen von Wut und Scham. Ekel faßte mich vor ihr und zerriß mein Mitleid! »Guten Abend«, sagte ich und ging. »Bon soir,« antwortete die Wirtin. Sie sah sich nicht um und lachte bloß, grell und höhnisch.
    Die Gasse, sie war nur Nacht und Himmel, als ich hinaustrat, eine einzige schwüle Dunkelheit mit verwelktem, unendlich fernem Glanz von Mond. Gierig trank ich die laue und doch starke Luft, und das Gefühl des Grauens löste sich in das große Erstaunen vor der Mannigfaltigkeit der Geschicke, und ich spürte wieder – ein Gefühl, das mich selig machen kann bis zu Tränen –, daß immer hinter jeder Fensterscheibe Schicksal wartet, jede Tür sich in Erlebnis auftut, allgegenwärtig das Mannigfaltige dieser Welt ist und selbst der schmutzigste Winkel noch so wimmelnd von schon gestaltetem Erleben wie die Verwesung vom eifrigen Glanz der Käfer. Fern war das Widerliche der Begegnung und das gespannte Gefühl wohltuend gelöst in eine süße Müdigkeit, die sich sehnte, all die Gelebte in schöneren Traum zu verwandeln. Unwillkürlich blickte ich suchend um mich, den Weg nach Hause durch diese Wirrnis verwinkelter Gäßchen zu finden. Da schob sich – unhörbar mußte er nahegetreten sein – ein Schatten an mich heran.
    »Verzeihen Sie,« – ich erkannte sogleich die demütige Stimme – »aber ich glaube, Sie finden sich hier nicht zurecht. Darf ich ... darf ich Ihnen den Weg weisen? Der Herr wohnt ...?'
    Ich nannte mein Hotel.
    »Ich begleite Sie ... Wenn Sie erlauben«, fügte er sogleich demütig hinzu.
    Das Grauen faßte mich wieder. Dieser schleichende, gespenstische Schritt an meiner Seite, unhörbar fast und doch hart an mir, das Dunkel der Matrosengasseund die Erinnerung des Erlebten wich allmählich einem traumhaft wirren Gefühl ohne Wertung und Widerstand. Ich spürte die Demut seiner Augen, ohne sie zu sehen, und merkte das Zucken seiner Lippen, ich wußte, daß er mit mir reden wollte, tat aber nichts dafür und nichts dagegen aus der Taumligkeit meines Empfindens, in dem die Neugier des Herzens mit einer körperlichen Benommenheit sich wogend mengte. Er räusperte sich mehrmals, ich merkte den erstickten Ansatz zum Wort, aber irgendeine Grausamkeit, die von diesem Weib geheimnisvoll auf mich übergegangen war, freute sich dieses Ringens der Scham und seelischen Not: ich half ihm nicht, sondern ließ dieses Schweigen schwarz und schwer zwischen uns. Und unsere Schritte klangen, der seine leise schlurfend und alt, der meine mit Absicht stark und rauh, dieser schmutzigen Welt zu entrinnen, wirr zusammen. Immer stärker spürte ich die Spannung zwischen uns: schrill, voll inneren Schreis war dieses Schweigen und schon wie eine übermäßig gespannte Saite, bis er es endlich – und wie entsetzlich zagend zuerst – durchriß mit einem Wort.
    »Sie haben ... Sie haben ... mein Herr ... da drinnen eine merkwürdige Szene gesehen ... verzeihen Sie ... verzeihen Sie, wenn ich noch einmal davon rede ... aber sie mußte Ihnen merkwürdig sein ... und ich sehr lächerlich ... diese Frau ... es ist nämlich ...«
    Er stockte wieder. Etwas würgte ihm dick die Kehle. Dann wurde seine Stimme ganz klein, und er flüsterte hastig: »Diese Frau ... es ist nämlich meine Frau.«Ich mußte aufgefahren sein im Erstaunen, denn er sprach hastig weiter, als wollte er sich entschuldigen: »Das heißt ... es war meine Frau ... vor fünf, vor vier Jahren ... in Geratzheim drüben in Hessen, wo ich zu Hause bin ... Ich will nicht, Herr, daß Sie schlecht von ihr denken ... es ist vielleicht meine Schuld, daß sie so ist. Sie war nicht immer so ... Ich ... ich habe sie gequält ... Ich habe sie genommen, obwohl sie sehr arm war, nicht einmal die Leinwand hatte sie, nichts, gar nichts ... und ich bin reich ... das heißt, vermögend ... nicht reich ... oder ich war es wenigstens damals ... und, wissen Sie, mein Herr ... ich war vielleicht – sie hat recht – sparsam ... aber früher war ich es, mein Herr, vor dem Unglück, und ich verfluche es ... aber mein Vater war so und die Mutter, alle waren so ... und ich habe hart gearbeitet um jeden Pfennig ... und sie war leicht, sie hatte gern schöne Sachen ... und war doch arm, und ich habe es ihr immer wieder vorgehalten ... Ich hätte es nicht tun sollen, ich weiß es jetzt, mein Herr, denn sie ist stolz, sehr stolz ... Sie dürfen nicht glauben, daß sie so ist, wie sie sich gibt ... das ist Lüge, und sie tut sich selber weh ... nur ... nur um mir
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