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Der Alchimist

Der Alchimist

Titel: Der Alchimist
Autoren: Paulo Coelho
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unterhalten, aber er konnte keinen Menschen in Wind verwandeln, obwohl er doch so vieles konnte! Er schuf Wüsten, versenkte Schiffe, fegte ganze Wälder um und durchstreifte Städte voller Musik und seltsamer Geräusche. Er glaubte, alles zu können, doch nun war hier ein junger Bursche, der behauptete, daß es noch mehr gab, was ein Wind vermochte. »Das nennt man Liebe«, sagte der Jüngling, als er bemerkte, daß der Wind seinem Wunsch beinahe nachgab. »Wenn man liebt, kann man alles in der Schöpfung sein. Wenn man liebt, ist es nicht notwendig, zu verstehen, was vor sich geht, denn alles spielt sich in uns selber ab, und Menschen können sich in Wind verwandeln. Natürlich nur, wenn dieser dabei behilflich ist.« Der Wind war sehr stolz, und es mißfiel ihm, was der Jüngling da sagte. Er blies mit größerer Geschwindigkeit und wühlte den Wüstensand auf. Aber schließlich mußte er sich eingestehen, daß er, obwohl er die ganze Welt durchquert hatte, nicht wußte, wie man Menschen in Wind verwandeln konnte - und er kannte die Liebe nicht.
    »Während ich durch die Welt zog, habe ich bemerkt, daß viele Menschen, die von Liebe sprachen, dabei zum Himmel aufsahen«, bemerkte der Wind gereizt, weil er seine Grenzen anerkennen mußte. »Vielleicht solltest du lieber den Himmel befragen.« »Dann hilf mir dabei und erfülle die Luft mit Sand, damit ich unbeschadet in die Sonne schauen kann.« Daraufhin blies der Wind mit großer Kraft, so daß eine Sandwolke den Himmel verdeckte und von der Sonne nur eine goldene Scheibe übrigblieb. Im Lager hatte man Mühe, noch etwas zu sehen. Die Wüstenmänner kannten diesen Wind schon. Man nannte ihn Samum, und er war für sie schlimmer als ein Unwetter auf hoher See, da sie selbst das Meer nicht kannten. Die Pferde wieherten, und die Waffen wurden mit Sand bedeckt. Auf dem Felsen wandte sich einer der Befehlshaber an sein Oberhaupt und sagte: »Vielleicht sollten wir besser damit aufhören.« Sie konnten den Jüngling kaum noch erkennen. Ihre Gesichter waren in die blauen Tücher gehüllt, und in ihren Augen stand Entsetzen. »Laß uns damit aufhören«, meinte auch ein anderer. »Ich will die Größe Allahs schauen«, sagte der Anführer und aus seiner Stimme sprach Hochachtung. »Ich will sehen, wie sich Menschen in Wind verwandeln.« Aber er merkte sich die Namen der beiden Männer, die Angst gezeigt hatten. Sowie der Wind nachließ, würde er sie ihrer Posten entheben, denn richtige Männer der Wüste sollten keine Angst haben. »Der Wind sagte mir, daß du die Liebe kennst«, wandte sich der Jüngling an die Sonne. »Wenn du die Liebe kennst, dann kennst du auch die Weltenseele, die aus Liebe steht.« »Von hier, wo ich mich befinde, kann ich die Weltenseele sehen. Sie ist mit meiner Seele in Verbindung, und zusammen bewirken wir, daß die Pflanzen wachsen und die Schafe den Schatten aufsuchen. Von hier oben - und ich bin sehr weit von der Welt entfernt - habe ich gelernt zu lieben. Ich weiß, daß, wenn ich mich der Erde etwas mehr näherte, alles auf ihr sterben müßte und die Weltenseele aufhörte zu existieren. Also betrachten wir uns wohlwollend, und ich schenke ihr Licht und Wärme, und sie gibt mir einen Lebensinhalt.« »Du kennst also die Liebe«, sagte der Jüngling. »Und ich kenne die Weltenseele, denn wir unterhalten uns viel auf dieser endlosen Reise durch das Universum. Sie hat mir erzählt, ihr größtes Problem sei, daß bisher nur die Tiere und die Pflanzen begriffen haben, daß alles in Einem ist. Und dazu ist es nicht nötig, daß das Eisen mit dem Kupfer gleich ist und dieses mit Gold. Jedes Metall erfüllt dabei seine Aufgabe, und so könnte alles eine Symphonie des Friedens sein, wenn die Hand, die alles geschrieben hat, am fünften Schöpfungstag aufgehört hätte. Aber es gab einen sechsten Tag«, sagte die Sonne. »Du bist weise, weil du alles aus der Ferne betrachtest«, bemerkte der Jüngling. »Aber die Liebe kennst du nicht. Wenn es keinen sechsten Schöpfungstag gegeben hätte, dann gäbe es keine Menschen, und das Kupfer bliebe für immer Kupfer, und das Blei bliebe für immer Blei. Es ist richtig, daß jedes seinen persönlichen Lebensplan hat, aber eines Tages ist dieser Lebensplan erfüllt. Dann muß man sich in etwas Edleres verwandeln und einen neuen Lebensplan erfüllen, bis die Weltenseele wirklich nur noch ein einziges Ganzes ist.« Die Sonne wurde nachdenklich und schien wieder stärker. Der Wind, dem die Unterhaltung gefiel,
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