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Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige

Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige

Titel: Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
Autoren: John P. Kummer Fritz Kamer
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Ängste lösen Stress aus.
    Die Arbeiten oder Aufgaben übersteigen die Grenze meiner Belastbarkeit – quantitativ oder qualitativ oder beides zusammen. Ich versuche wohl, voranzukommen, schaffe es jedoch nicht, eine dieser Arbeiten fertigzustellen. Warum? Ich werde vielleicht gequält von der Erkenntnis, dass die anderen Aufgaben, die anstehen, ebenso wichtig sind wie diejenigen, die ich gerade bearbeite. Das heißt wiederum, dass ich keine Dringlichkeitsliste gemacht habe, nach der sich einigermaßen in Ruhe arbeiten lässt. Oder ich bin unsicher, ob ich bestimmte Arbeiten genügend gut erledigt habe – wobei hier auch mein Hang zum Perfektionismus zum Tragen kommt. Diese Eigenschaft allein ist für viele seelische Probleme verantwortlich.
    Diese Unsicherheit, die sich zur wahren Qual entwickeln kann, erkenne ich als den Beginn der Krankheit. Denn die Angst, nicht zu genügen, schwingt mit und erzeugt zusätzlichen Stress. Es ist klar, dass dabei Selbstvorwürfe entstehen, die bis zum Abflauen der Krankheit andauern können. Das Schamgefühl – real oder imaginär – wird durch Grübeln am Leben erhalten.
    Diese fürchterlich auf die Stimmung drückenden Gefühle verschwinden aber nicht, wenn der Arbeitstag vorbei ist. Die Gewissensqualen schwappen ins Privatleben über. Dort, wo es möglich sein sollte, sich zu entspannen, sich mitzuteilen und seinen Gefühlen – auch den negativen – Ausdruck zu geben, gelingt dies ebenso wenig, denn ich bin krank, stehe im Mittelpunkt und habe auch hier nur Schuldgefühle. Jedoch: Indem ich gedanklich Schuld auf mich lade und diese analysiere, katalogisiere und bei mir »ablege«, kommt mit der Zeit eine gewisse Zufriedenheit in mir auf, dass es mir gelingt, das Schlechte in meinem Umfeld – beruflich und privat – in mir zu konzentrieren.
    Psychotisches, krankhaftes Geschehen ist jetzt nicht mehr weit entfernt. Ich bin doch so universell schuld und schlecht, dass ich verfolgt und eingefangen werden muss, damit meine Schuld gesühnt werden kann.
    Nach dem Hoch das Tief: Ängste
    Bald zwanzig Jahre habe ich nun ohne Depression gelebt, und das Rückfallrisiko ist, so hoffe und glaube ich, minimal geworden.
    Wenn man die Depression einmal hinter sich hat, ist alles wunderbar und man muss aufpassen, dass das Gefühlsleben nicht ins Gegenteil, in die Manie umschlägt. Meist sind die Freude und das Glücksgefühl, die Krankheit überstanden zu haben, so groß, dass man wirklich nur die positiven Seiten seines Lebens erlebt und lebt. Die langweiligen, mühsamen, schweren Seiten seiner Existenzen will man gar nicht wahrhaben. So steckt man bereits in einer milden Manie, einer Hypomanie, wo man sich fast nichts mehr sagen lässt, fast nichts hören will, was irgendwie den so wunderbaren eigenen Schwung bremsen könnte. Man hat aber doch noch – im Gegensatz zu einer ausgewachsenen Manie – ein Ohr für den Partner oder den Arzt und lebt nicht allzu gefährlich. Die Hypomanie klingt dann aber ab. Die Depression ist vorbei, und man will gar nichts mehr wissen von ihr, man klammert sie aus, verniedlicht sie und mit der Zeit verblasst sie mehr und mehr. Es war ein Gespenst, und man will es nicht mehr sehen, nichts zu tun haben mit ihm, ihm aus dem Weg gehen, vor ihm davonlaufen …
    Lange Zeit geht das gut. Stressige Zeiten gibt es aber immer wieder, Stressoren kommen und gehen. Bauen sie sich etwa auf? Geht es mir noch gut? Schlafe ich gut? Grüble ich? Bewältige ich meine Arbeitsliste noch oder komme ich schon wieder in Verzug? Man erinnert sich, die Angst vor der Krankheit kann wieder aufkommen. Ja, die Angst ist nie ganz gebannt: Es könnte mich wieder packen. Und wenn sie dann wieder da ist, die Depression, dann ist die Angst die ständige Begleiterin. Sie macht blind, blockiert, man verliert an Denkvermögen, vielleicht gar den Verstand.
    Ein Tag folgt auf den anderen. Die Zeit läuft, wenn man sie nur mal anhalten könnte, damit Ruhe einkehren würde. Das sagte ich dem jungen Pfarrer Jürg, der mich während einer Depression fast jeden Tag besuchen kam und mit dem ich schweigend Tee trank. Er schwieg nicht, redete von seinem Leben und seiner Arbeit, aber ich sagte nichts. Trotzdem kam er immer wieder. Nein, es sei nicht nötig, er müsse nicht kommen. Das war meine regelmäßige Antwort auf die telefonische Ankündigung, er schaue kurz vorbei. Nein, nein, es helfe ja eh nichts, es sei nur Zeitvergeudung. Dabei wollte ich die Zeit anhalten. Ich wollte wohl, dass alles viel
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