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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise
Autoren: Caroline Vermalle
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zurück. Und du, Opa, wie geht es dir?«
    »Es geht, es geht. Ich glaube, ich mache es nicht mehr so lange.«
    Adèle wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
    »Das darfst du nicht sagen, Opa. Du wirst dich erholen. Du kommst bestimmt wieder auf die Beine.«
    Ihr Großvater antwortete ihr nicht sofort. Er senkte den Blick und betrachtete Adèle dann wieder.
    »Ich freue mich sehr, dass du gekommen bist, meine kleine Adèle«, sagte er nach einem Augenblick des Schweigens. »Ich freue mich wirklich sehr.«
    Und schon geriet das Gespräch ins Stocken. Adèle ertrug die Stille nicht.
    »Ah, du hast einen Fernseher im Zimmer. Das ist schön. Wirst du gut versorgt?«
    »Hm, Adèle, wie soll ich sagen ... Es gibt da etwas, woran ich in letzter Zeit oft denken musste.« Georges machte eine Pause, wandte den Kopf ab und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Schließlich schaute er auf seine faltigen Hände, die auf der Bettdecke lagen.
    »Erinnerst du dich an den Tag, als Oma und ich mit dir nach Bressuire gefahren sind und uns die Weihnachtskrippe dort angesehen haben?«
    Adèle hatte tatsächlich diese beleuchtete Krippe mit den beweglichen Figuren vor Augen, die ihr damals so groß und erhaben vorkam, als sei es eine ganze Stadt mit Tausenden kleiner Lichter. Die Krippe war wie verzaubert gewesen. Und die Erinnerung daran kam von sehr weit her.
    »Ich habe oft daran gedacht, Adèle ...«
    »Es stimmt, es war ein sehr schöner Abend.«
    »Dann sind wir alle drei nach Hause gefahren, deine Oma, du und ich, und, ach, du wolltest partout nicht schlafen. Nachdem wir uns diese Krippe angesehen hatten, warst du schrecklich aufgedreht. Du musst so acht oder neun gewesen sein, viel älter jedenfalls nicht. Du musst wissen, dass wir uns damals alle Sorgen um Omas Gesundheit gemacht haben. Mir selbst ging es auch nicht besonders gut. Deine Oma und ich, wir waren nicht unglücklich, aber es war dennoch eine schwere Zeit. Deine Eltern hatten auch immer viel zu tun, und es waren Ferien. Wir haben uns immer gefreut, wenn du bei uns warst, mein Kind. Aber damals waren deine Oma und ich furchtbar erschöpft. Und ich war sehr aufbrausend. Mit den Jahren hat sich das gelegt. So ist das Leben. Aber zu der Zeit war es besser, mich nicht zu reizen. Jedenfalls, wie soll ich sagen ... An jenem Tag sind wir nach Hause gekommen, nachdem wir uns die Krippe angesehen hatten, und du warst total aufgedreht. Ich weiß nicht, ob du dich noch erinnerst. Jedenfalls wolltest du nicht ins Bett und bist wie wild auf dem Bett herumgesprungen. Und als du auf dem Bett herumgesprungen bist, wollte deine Oma dich da herunterziehen, und dann hast du sie an den Haaren gezogen. Und ich habe nicht lange gefackelt.«
    Er verstummte wieder.
    »Ich hab dich gepackt und dir ordentlich den Hintern versohlt.«
    Adèle lächelte. Sie erinnerte sich gut an die Krippe, aber nicht mehr daran, dass ihr Großvater ihr den Hintern versohlt hatte.
    »Ach, das hatte ich bestimmt auch verdient. Ich weiß, dass ich kein einfaches Kind war«, sagte sie lachend zu ihrem Großvater.
    Ihr war klar, dass die Geschichte hier zu Ende war. Ihr Großvater stützte den Kopf in die Hände.
    »Oh, mein Kind, weißt du, ich habe mir große Vorwürfe gemacht. Sicher, damals war ich noch jünger, und sicher, ich habe mich verändert, aber ich habe mir Vorwürfe gemacht. Und je älter ich werde, desto größere Vorwürfe mache ich mir.«
    »Aber, Opa, ich erinnere mich noch nicht mal mehr daran. Ganz bestimmt nicht!«
    »Und später, da bist du nicht mehr oft gekommen, und als du dann größer warst, haben wir dich fast gar nicht mehr gesehen. Und ich habe diesen Abend, als wir uns die Krippe angesehen haben, immer bereut. Zu unserer Zeit, ja, da war es normal, den Kindern den Hintern zu versohlen.«
    Er fuhr fort. Adèle ließ ihn reden. Auch er fühlte sich verantwortlich für die lange Zeit, in der sie kaum Kontakt hatten. Auch er glaubte, es sei seine Schuld. Wie sollte Adèle ihm erklären, dass es nichts mit diesem unglücklichen Vorfall zu tun hatte, an den sie sich nicht einmal mehr erinnerte? Es wäre dennoch einfach gewesen, es mit einer Tracht Prügel zu erklären, dass sie sich zehn Jahre lang nicht gesehen hatten – einem unbedeutenden Ereignis, das man datieren und analysieren konnte und bei dem es einen Schuldigen und ein Opfer gab. Die Psychiater hätten nichts dagegen einzuwenden gehabt. Es war ganz einfach. Man würde die Geschichte wieder aufrollen, dann könnte man die
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