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Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Titel: Denken hilft zwar, nutzt aber nichts
Autoren: Dan Ariely
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brüten; warum es mir so wichtig war, was andere Leute von mir dachten, und vor allem, was die Menschen in ihrem Leben motiviert.
    Während meiner drei Jahre im Krankenhaus konnte ich reichlich Erfahrungen mit verschiedensten Arten von Schmerzen sammeln, und ich hatte zwischen den Behandlungen und Operationen mehr als genug Zeit, darüber nachzudenken. Während dieser langen Jahre musste ich tagtäglich dieselbeTortur überstehen, nämlich ein Bad in Desinfektionslösung, nach dem die Verbände abgenommen und abgestorbene Hautzellen abgekratzt wurden. Bei intakter Haut verursachen Desinfektionsmittel ein leichtes Brennen, und die Verbände gehen im Allgemeinen leicht ab. Ist jedoch nur wenig oder gar keine Haut vorhanden – wie durch die großflächigen Verbrennungen in meinem Fall –, dann kleben die Verbände am rohen Fleisch, und das Desinfektionsmittel verursacht einen wirklich unbeschreiblichen Schmerz.
    Von Anfang an, seit ich auf der Station für Brandverletzte lag, sprach ich mit den Krankenschwestern, die mich täglich badeten, weil ich wissen wollte, warum sie was bei meiner Behandlung machten. Sie fassten den Verband und rissen ihn möglichst schnell ab, was einen relativ kurzen, heftigen Schmerz verursachte; es dauerte etwa eine Stunde, bis alle Verbände auf diese Weise entfernt waren. Anschließend wurde Salbe aufgetragen. Man legte mir einen neuen Verband an, und am nächsten Tag begann die ganze Prozedur wieder von vorn.
    Schnell wurde mir klar, dass die Schwestern glaubten, es sei – für den Patienten – besser, wenn sie den Verband mit einem kräftigen Ruck abrissen, was einen kurzen, heftigen Schmerz verursacht, anstatt ihn langsam abzuziehen, wobei der Schmerz dann vielleicht weniger intensiv ist, aber länger andauert, weshalb das Ganze insgesamt schmerzhafter wird. Außerdem waren die Schwestern zu dem Schluss gekommen, dass es egal war, ob sie an der empfindlichsten Körperstelle begannen und sich zur am wenigsten empfindlichen vorarbeiteten oder ob sie an dem Körperteil begannen, der am wenigsten empfindlich war, und sich zu den empfindlichsten Bereichen vorarbeiteten.
    Als Patient, der die Tortur des Verbandwechsels am eigenenLeib erlebte, teilte ich ihre theoretischen Überlegungen nicht (die im Übrigen nie wissenschaftlich überprüft wurden). Außerdem fand bei ihren Überlegungen keine Berücksichtigung, wie viel Angst der Patient schon in Erwartung der Behandlung ausstand; die Schwierigkeit, mit unterschiedlich intensivem Schmerz umzugehen und nicht zu wissen, wann der Schmerz einsetzt und wann er wieder nachlässt; oder wie hilfreich und tröstlich das Wissen sein kann, dass der Schmerz im Laufe der Zeit abnehmen wird. Doch ich hatte angesichts meiner hilflosen Lage kaum eine Chance, darauf Einfluss zu nehmen.
    Sobald ich das Krankenhaus für längere Zeit verlassen durfte (ich musste noch weitere fünf Jahre zu verschiedenen Operationen und Behandlungen kommen), begann ich mein Studium an der Universität von Tel Aviv. Schon im ersten Semester besuchte ich ein Seminar, das meine Einstellung zur wissenschaftlichen Forschung tiefgreifend veränderte und richtungweisend für meine Zukunft wurde. Es war ein Seminar über die Physiologie des Gehirns von Professor Hanan Frenk. Was mich, abgesehen von den faszinierenden Erkenntnissen über die Funktionsweise des Gehirns, die Professor Frenk uns nahebrachte, am meisten beeindruckte, war seine Haltung zu Fragen und alternativen Theorien. Wenn ich mich im Seminar meldete oder in seinem Büro vorbeischaute und zu der einen oder anderen seiner Darstellungen eine abweichende Interpretation vortrug, antwortete er mir oft, meine Theorie sei in der Tat eine Möglichkeit (ziemlich unwahrscheinlich, aber dennoch eine Möglichkeit) – und dann forderte er mich auf, mir ein Experiment zu überlegen, mit dem ich sie entgegen der herkömmlichen Theorie bestätigen könnte.
    Solche Experimente auszuarbeiten war nicht einfach, aber der Gedanke, dass Wissenschaft ein auf Empirie basierendesUnterfangen ist, bei dem alle Beteiligten, auch ein frischgebackener Student wie ich, alternative Theorien entwickeln konnten, solange sie eine Möglichkeit fanden, diese Theorien experimentell zu überprüfen, eröffnete mir eine ganz neue Welt. Bei einem meiner Gespräche in seinem Büro unterbreitete ich Professor Frenk eine Theorie, wie ein bestimmtes Stadium der Epilepsie zustande kommt, und auch gleich eine Idee, wie man das Ganze an Ratten testen
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