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Den Toten dienen

Den Toten dienen

Titel: Den Toten dienen
Autoren: Martin Delrio
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rechnen, dass er sie bald wiedersah. Für ihn war es bereits ein Segen, überhaupt wieder etwas anderes als seine dreckige Sommer-Feldmontur tragen zu können, nachdem er aus der Bruthitze der Trockenzeit an Kearny s Oil-fieldsküste ohne Zwischenlandung in die Minustemperaturen und den tiefen Schnee des Gebirgswinters geflogen und sofort in den Kampf gezogen war.
    Jetzt stand er unter der Außenlaterne auf den Verandastufen zum Haus seiner Schwester und zögerte. Seit dem Ende der Kämpfe des letzten Sommers, als er seiner Mutter geholfen hatte, aus den Trümmern des Hauses in Liddisdale zu bergen, was noch möglich schien, war dies die erste Gelegenheit zu einem Familienbesuch. Jean Elliot war nicht begeistert gewesen, als sie gehört hatte, dass ihr einziger Sohn nach Fort Barrett an der Oilfieldsküste verlegt wurde, weitab der heimatlichen Berge. Dies würde ihr noch weniger gefallen.
    Will bemerkte, dass sein Finger knapp über dem Klingelknopf angehalten hatte. Welche Ironie, dachte er. An den Toren von Castle Northwind hatte er auf Anastasia Kerenskys Soldaten gelassener gewartet.
    Aber das lag daran, dass ihn die Stahlwölfe höchstens umbringen konnten - wie seine Freundin, Hilfstruppführerin Lexa Mclntosh, es ausgedrückt hätte. Seine Familie hingegen konnte ihm eine Szene machen. Weniger seine Mutter, aber zusammen mit seiner ältesten Schwester... Ruth war nie zufrieden, und sie genoss es, andere an ihrer Verärgerung teilhaben zu lassen.
    Seine ganze Kindheit über hatte sie Will zugesetzt und ihn gedrängt, etwas aus sich zu machen, womit sie offenbar meinte »sich eine Stelle in irgendeinem Büro suchen, statt seine ganze Zeit mit Bergwanderungen zu verschwenden«. Seine Entscheidung, als Bergführer zu arbeiten, hatte ihr ganz und gar nicht gefallen. Was sie vom Soldatenleben hielt, wusste er bis heute nicht - er konnte es sich aber lebhaft vorstellen.
    Was soll's, dachte er. Augen zu und durch.
    Er drückte auf den Knopf. Im Haus ertönte eine Klingel, und einen Augenblick später öffnete seine Schwester Ruth die Tür. Sie rief »Will!«, als hätte sie ihn nicht erwartet, und schloss ihn in die Arme. Überrascht stellte er fest, dass sie weinte.
    Er tätschelte ihr unbeholfen den Kopf. »Aber, aber, Ruthie. Was ist denn los?«
    »Ich bin einfach froh, dass du noch da bist. Nach allem, was wir gehört haben...« Sie trat zurück und blinzelte die Tränen fort. »Komm rein, komm rein. Das Essen ist fast fertig, und Mutter hat das gute Silber rausgeholt.«
    Er folgte Ruth ins Haus. Drinnen war es hell und roch köstlich. Er roch den Duft von Lammkeule und vom selbst gemachten Falschminzpudding seiner Mutter sowie von Purpurwurzbrei mit reichlich Butter. Nach viel zu vielen Wochen Feldration knurrte sein Magen in freudiger Erwartung. Auf dem Tisch lag tatsächlich das gute Silberbesteck. Als sie Lid-disdale im letzten Sommer kurz vor dem Durchmarsch der Wölfe verlassen hatte, hatte seine Mutter den ganzen Satz in den Kofferraum des Elektrowa-gens geworfen, zusammen mit Kleidern zum Wechseln und den Hochzeitsbildern. Jetzt glänzte es auf dem weißen Tischtuch. Wohin Will auch blickte, alles war poliert und aufgeräumt. Es machte irgendwie den Eindruck, als hätte seine Familie das Haus für den Besuch eines angesehenen Fremden vorbereitet, und nicht für die Rückkehr eines Sohnes und Bruders.
    Ruths Mann, John Fletcher, saß schon mit Annie, Isobel und John junior am Esstisch. Jean Elliot trug die Lammkeule aus der Küche herein und stellte sie in die Mitte der Tafel. Dann drückte sie Will fest an sich, während ihre drei Enkel ihn bewundernd anschauten.
    Für ihn stand ein Gedeck auf dem Tisch. Er nahm Platz, und Ruths Mann schnitt die Keule an. Nach all den Mahlzeiten, die er in der letzten Zeit hatte hastig herunterwürgen müssen, bevor die Kompanie zum nächsten Lager oder Gefecht aufbrach, hatte Will jetzt Mühe, nicht zu schlingen. Aber er wollte den Kindern ein gutes Vorbild sein und auf sein Benehmen achten, ermahnte er sich in Gedanken.
    Zunächst drehte sich das Tischgespräch um Kleinigkeiten: das Wetter, die Schule und John Fletchers Arbeit als Fernfahrer. Aber nach einer Weile sagte seine Mutter dann doch: »Es tut gut, dich wieder hier zu haben, Will. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
    »Das brauchst du nicht.« Er legte die Gabel lange genug beiseite, um auf das Rangabzeichen an seinem Oberarm zu klopfen. »Sie haben mich zum Hilfstrupp-führer befördert. Das bedeutet, ich
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