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Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1
Autoren: Rachel Ward
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halb aus Scheiß, halb ernst gemeint. Spinne zog ein Gesicht.
    »Das ist meine Oma«, sagte er. »Die ist verrückt.« Er sprang über die niedrige Mauer und bahnte sich seinen Weg durch die Ansammlung aus Stein. Er zielte mit seinem Fuß auf den Kopf von einem besonders hässlichen Zwerg.
    »Nein, lass das«, rief ich. Mitten in der Bewegung brach er ab. »Sie sind schön. Tu ihnen nicht weh.«
    »O Gott. Nicht du auch noch.« Er schüttelte den Kopf und wartete, während ich das Tor mit der abblätternden Farbe öffnete und den Weg entlangkam. Dann stieß er die Wohnungstür auf – die unverschlossen gewesen sein musste – und rief: »Ich bin’s, Oma. Hab ’ne Freundin dabei.«
    Auch wenn ich nervös war, checkte ich, dass er das Wort Freundin benutzte. Und es gefiel mir.
    Es gab einen schmalen Flur, dann stand man schon im Wohnzimmer. Jedes Regal, jede Fläche war mit irgendwelchem Nippes vollgestellt: kleinen Porzellantieren, Tellern, Vasen. Nimm alle Flohmärkte zusammen, auf denen du je gewesen bist, und dazu das ganze Zeug, das am Ende übrig bleibt, weil es niemand haben will, dann hast du eine ungefähre Vorstellung. Der penetrante Geruch nach Zigarettenqualm machte die Luft schwer. Offenbar stand kein einziges Fenster offen. Eine Wolke wehte aus dem Nachbarzimmer herüber und ich folgte Spinne dahin. Seine Oma saß auf einem Hocker an einer Frühstücksbar, Zeitung vor sich, Tasse Tee in der Hand und Zigarette im Mund. Sie ähnelte ihrem Enkel kein bisschen. Sie war klein, weißhäutig wie ich, mit kurzem igeligem Haarschnitt, in einer dunklen Lilavariante gefärbt. Ihr Gesicht war faltig und wirkte streng. Ich sah, wie er sich zu ihr runterbeugte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, und dachte, wenn du sie auf der Straße sähst, würdest du nie glauben, dass die beiden aus derselben Familie sind. Aber so ist es nun mal. Die Zeit der Familienfotos – Mama, Papa, zwei Kinder, alle identisch angezogen und alle sehen gleich aus –, gab es das je? Gibt es noch irgendwo einen Ort, wo es so ist? Hier jedenfalls nicht. Hier in der Gegend sind Familien das, was sie sind – bloß deine Oma, wie bei Spinne, oder niemand, wie bei mir –, schwarz, weiß, braun, gelb, was auch immer. So ist das eben.
    Als sich Spinne wieder aufrichtete, sah seine Oma mich an. »Hi«, sagte sie. »Ich bin Val.«
    Ich blickte ihr nicht ins Gesicht, aber aus irgendeinem Grund schaute ich doch kurz hoch und sofort hielt sie meinen Blick fest. Ich konnte nicht weggucken. Ihre Augen waren erstaunlich – haselnussfarbene Iris in klarem Weiß, abgesehen vom Zigarettenrauch. Und es war nicht, als ob sie nur schaute, so wie alle andern. Nein, sie nahm mich wahr, sah mich richtig. Ich checkte ihre Zahl, 20022055: noch fünfundvierzig Jahre trotz schwerer Zigarettensucht. Respekt.
    »Und, wer bist du?«, fragte sie. Die Worte klangen schroff, obwohl ich nicht glaube, dass sie es so meinte.
    Ich konnte nicht richtig denken, ich wusste noch nicht mal mehr meinen Namen. Ich war wie ein Kaninchen, gefangen im Scheinwerferlicht dieser Augen.
    Spinne rettete mich. »Das ist Jem. Wir wollen bisschen zusammen abhängen.«
    »Gleich. Renn nicht weg. Setz dich einen Moment, Jem.« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf den Hocker neben sich.
    »Oma, lass sie in Ruhe. Du kannst doch nicht gleich auf jemanden losgehen.«
    »Reiß dich zusammen, Terry. Hör nicht auf ihn, setz dich her, Jem.« Sie klopfte auf den Hocker, mit kleinen faltigen Händen und klobigen, gelb gewellten Nägeln, und ich schwang mich widerstandslos hinauf. Spinnes Oma war niemand, mit dem man diskutierte, und abgesehen davon lief noch etwas ganz anderes ab. Ich spürte es in der Luft, wie Elektrizität, die zwischen uns funkte. Es war erschreckend und aufregend zugleich. Ich sah sie immer noch an, und als ich auf dem Hocker herumrutschte, um mein Gleichgewicht zu finden, legte sie ihre Zigarette ab und nahm meine Hand. Du weißt ja, dass ich keinen körperlichen Kontakt mag, trotzdem zog ich sie nicht weg. Ich konnte nicht und wir beide spürten es, ein Knistern, ein Sirren, als ihre Haut meine berührte.
    Der Gestank von kaltem Rauch aus ihrem Mund drang in meine Nase. Mir wurde ein bisschen übel. Ich mag ja Zigaretten, so wie jeder Mensch, aber von jemand anderem, secondhand? Echt nicht.
    »Ich bin noch nie einem Menschen wie dir begegnet«, sagte sie und ich dachte: Das stimmt, garantiert nicht, aber woher weißt du das? »Hast du schon mal was von einer Aura
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