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Demudis

Demudis

Titel: Demudis
Autoren: Stefan Blankertz
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vor.
    Ganz anders verhält es sich mit der mittelalterlichen Mystik. Die extreme sinnliche Ausschweifung auch und gerade in der Askese, das Schwelgen in einer erotischen Gotteserfahrung ist uns nach Aufklärung und Säkularisation fremd geworden. Die Beginenmystik, die über drei Jahrhunderte in vielen Teilen Europas verbreitet war, setzte eine ältere Tradition fort. Aber dadurch, dass sie von Frauen getragen wurde, die die Vereinigung mit Jesus Christus, ihrem »Bräutigam« und »Gemahl«, in viel anschaulichere, ja drastischere Bilder kleiden konnten, bekam sie einen neuen, fast verstörenden Akzent. Gleichwohl handelte es sich um Lebensentwürfe, die auch in der Gegenwart denen wertvolle Anregungen zu geben vermögen, die nach einem Sinn in all dem Leiden der Welt suchen, vor allem da die technische Entwicklung keineswegs diese Leiden vermindert, sondern zum Teil sogar noch vermehrt hat.
    Die bekanntere so genannte »Deutsche Mystik«, an deren Spitze Meister Eckhart steht, ist gegenüber der Beginenmystik eine rationalistische Abschwächung. Ein Beispiel ist die extreme Askese (neben Hunger- wurde bisweilen auch Durstaskese eingesetzt), mit der Gottes Gnade gleichsam verdient werden sollte. Meister Eckhart lehnte dies ab, weil es sich dabei um den Versuch handeln würde, Gottes Gnade zu erzwingen. Andererseits bemerkte er, dass, wenn Gott nicht täte, was man wolle, es einem lediglich an Demut gebreche. Demut erzwingt demzufolge Gottes Gnade. Der Unterschied liegt nicht im Konzept, sondern in den Mitteln der Umsetzung.
    Der starke Einfluss der Beginenmystik auf Meister Eckhart ist biographisch zwar gut belegt, wird aber in der Rezeption der Lehre von Meister Eckhart meist nur am Rande erwähnt, wenn überhaupt. Dabei sind die Parallelen zwischen Beginenmystik und der mystischen Lehre Meister Eckharts an vielen Stellen offensichtlich. Die Abschwächung von Meister Eckhart bestand hauptsächlich darin, dass er die reale, körperlich sich manifestierende Liebesvereinigung mit dem »himmlischen Bräutigam« in eine rein geistige Angelegenheit sublimiert hat. Damit reduzierte er den Skandal der geistlichen Erotik, den die Beginenmystik schon damals in der Amtskirche ausgelöst hat, aber versuchte zugleich, viel von deren Sinngehalt zu bewahren.
    Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Meister Eckhart ursprünglich kein Mystiker war. Er sah sich in der Nachfolge von Albertus Magnus und Thomas von Aquin als vernunftorientierter Scholastiker. Erst nachdem er mit der Seelsorge der Straßburger Beginen beauftragt wurde, wandte er sich mystischen Erfahrungen zu. Es kann durchaus die Frage gestellt werden, ob Meister Eckhart überhaupt eigene mystische Erfahrungen gemacht hat oder ob seine dementsprechenden Texte nicht Interpretationen der Beginenmystik darstellen.
     
    Die Beginen stellten kein Randphänomen dar. In Köln, einem Zentrum der Bewegung, lebten Ende des 13-, Anfang des 14. Jahrhunderts schätzungsweise zweitausend Beginen, das sind rund sechs Prozent der Bevölkerung. Das Beginenwesen war keine organisierte Bewegung. Im Gegensatz zur franziskanischen Bewegung rund ein Jahrhundert früher, die gegen den ausdrücklichen Willen des Franz von Assisi zwangsweise institutionalisiert wurde, hat es weder von der Kirche noch von den Beginen selbst ausgehend Bestrebungen gegeben, zu einer einheitlichen oder gar hierarchischen Organisationsform zu finden. Dort, wo die Beginen in Verruf gekommen waren, sei es durch ketzerische bzw. scheinbar ketzerische Lehren, sei es durch die Vorwürfe eines zweifelhaften Lebenswandels, wurden sie bisweilen gedrängt, sich bestehenden Ordensgemeinschaften anzuschließen; sie wählten dazu meist die Augustinerinnen, die Klarissen oder die Dominikanerinnen.
    Woher der Name Begine stammt, ist bis heute umstritten. Zur Auswahl stehen: Begine käme von »benigna« (lateinisch: gütig, wohltätig), von »beige« wegen der Farbe ihrer Tracht, von »to beg« (englisch: bitten, betteln; im Grimm’schen Wörterbuch wird jedoch auch die umgekehrte Möglichkeit erwähnt, dass »to beg« aus Begine entstanden sei), von Lambert de Begue (einem Lütticher Priester, der – wohl fälschlicherweise – als Begründer des Beginentums galt), von der heiligen Begga († 694) oder von »Albigenser« (dem Namen der südfranzösischen Katharer, einer ketzerischen Bewegung im 13. Jahrhundert).
    Die Beginen wurden von der Kirche teils beschützt, manchmal sogar hofiert, teils argwöhnisch beäugt und sogar
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