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Delia und der Sohn des Häuptlings

Delia und der Sohn des Häuptlings

Titel: Delia und der Sohn des Häuptlings
Autoren: Marie Louise Fischer
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ihre Erzählung sozusagen über die Schulter zurück. Vor ihr schritten die Packpferde, die die Last der Fellbündel trugen, ganz vorn ritten Perbuo und Sinoko, und den Schluss des kleinen Zuges bildete Akitu.
    Nach einiger Zeit — es mochte etwa eine Stunde vergangen sein — gab Akitu seiner Blutsschwester ein Zeichen zu schweigen. Delia begriff sofort. Sie näherten sich jetzt wohl bald dem Rande des Urwaldes.
    Und dann tat sich wirklich der Wald auf: Vor ihnen lag die weite Prärie mit ihrem langen, saftigen Gras, das sich im leichten Wind bewegte wie die Wellen eines Meeres. Dazwischen blühten wunderbare Blumen, rot, gelb und blau, viel größer, als Delia sie von den Wiesen in Schönau kannte. Unendlich dehnte sich diese abwechslungsreiche Landschaft unter dem Himmel. Es war ein herrlicher Anblick.
    Delia drehte sich rasch zu Akitu um, sah, wie seine Schultern sich dehnten, seine Augen aufleuchteten. Die Prärie war die wahre Heimat der Iowanoka-Indianer, und obwohl sie sich schon viele Jahre in ihrem Waldversteck aufhielten, sehnten sie sich immer noch nach ihr zurück. Selbst die ganz kleinen Kinder, die die Prärie niemals selbst gesehen hatten, sprachen in ihren Spielen und Träumen von ihr, lauschten hingerissen den Erzählungen der Alten von der weiten Freiheit dieser Landschaft, den Büffelherden und den wilden Mustangs.
    Sinoko bedeutete den Kindern abzusitzen. Auch Perbuo sprang ab, nahm seinen Rappen beim Zügel und schlich sich in die Prärie hinaus — Delia begriff, dass er erkunden wollte, ob die Luft rein war.
    Grausame Schlange setzte sich indessen mit überkreuzten Beinen ins Gras und begann zu essen. Delia und Akitu folgten seinem Beispiel. Sie machten sich daran, das zähe, geräucherte Fleisch, das Inona ihnen mitgegeben hatte, mit ihren Jagdmessern in Streifen zu schneiden.
    Delia tat gerade den ersten Bissen, als sie sich angestupst fühlte. „Lass das!“ sagte sie, ohne sich umzublicken — sie war überzeugt, dass Akitu sie necken wollte.
    Wieder fühlte sie den Stoß.
    Jetzt sah sie Akitu an, aber dessen Gesicht war ernst und gespannt, die Augen in weite Ferne gerichtet. Sie begriff, dass ihm im Augenblick durchaus nicht nach Spaßen zumute war.
    Sie saß ganz still, wartete ab, was weiter geschehen würde, und richtig, schon wieder spürte sie einen Schubs im Rücken. Blitzschnell drehte sie sich um, griff zu und — packte in das dichte, kurzhaarige Fellchen ihres Mopses.
    „Professor!“ sagte sie entsetzt. „Du bist doch wirklich der ungezogenste, unmöglichste, unverschämteste Hund, der mir je begegnet ist! Habe ich dir nicht streng befohlen, im Dorf zu bleiben? Wusstest du denn nicht, dass du Inona gehorchen solltest?“
    Der Mops blickte ihr mit seinen großen kugelrunden Augen treuherzig ins Gesicht, wackelte um Gnade bittend mit dem kleinen Hinterteil hin und her. Die schön geflochtene Leine lag ihm noch um den Hals, in ihrem Ende hatten sich Gras, Farne und welke Blätter verfangen, es sah aus wie eine sonderbare Schleppe.
    „Akitu!“ rief Delia verzweifelt. „Was machen wir jetzt?“ Der Sohn des Häuptlings war genauso überrascht wie Delia. Ja, da war wirklich guter Rat teuer. Mitnehmen konnten sie den Mops nicht gut; seine Anwesenheit musste unweigerlich verraten, dass Delia keine Indianerin, sondern eine Europäerin war — und zurück ins Dorf oder wenigstens zum Weideplatz zu gehen hätte einen Aufenthalt bedeutet.
    „Du bist ein ganz, ganz schrecklicher Kerl“, sagte Delia verzweifelt.
    Aber der Mops riss sein Mäulchen auf, streckte seine lange rosa Zunge heraus, gähnte herzhaft und selbstzufrieden.
    „Jetzt lacht er uns auch noch aus“, sagte Delia.
    Grausame Schlange war aufmerksam geworden. „Hund muss fort“, sagte er mit unbewegtem Indianergesicht.
    „Aber wie denn?“ rief Delia. „Wir können doch nicht zurück und …“
    Der rote Krieger unterbrach sie. „Nein, nicht zurück“, sagte er. Er stand auf, spannte den Hahn seiner Flinte, legte gelassen auf den Professor an.
    „Nein! Nicht!“ schrie Delia entsetzt und riss den Mops in ihre Arme.
    Akitu war mit einem Satz auf den Beinen und stellte sich genau in die Schusslinie, zwischen Delia und Sinoko. „Der Sohn des Häuptlings verbietet dir“, sagte er mit Nachdruck, „seinem kleinen Freund ein Leid anzutun!“
    Grausame Schlange lachte nur. Es war ein hässliches Lachen. Delia hatte plötzlich das Gefühl, dass er an seinen zernagten Mokassin dachte und schon lange auf eine
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